Unterwegs im südlichen Brasilien

(3. Sept. bis 11. Okt. 2004)

„Wir haben noch nie einen so schönen Tod eines AIDS-Kranken gesehen, wie von dieser Frau“, sagten die Ärzte am Telefon. Sie wollten den Pastor sprechen, der sie betreut hatte. Marilda war eine Prostituierte und an HIV erkrankt. Schließlich mußte man ihr eröffnen, daß sie bald sterben würde. Peter Unruh ist Ältester einer Gemeinde in São Jose, das an Curitiba angrenzt. Eine Schwester dieser Versammlung hörte von dem traurigen Schicksal Marildas. Der Vorwurf stand im Raum, daß sich gerade um diese Leute die Frommen nicht mehr kümmern. So besuchte Peter sie, obwohl einige Gemeindemitglieder meinten, man solle solch ein Milieu meiden. Zunächst wollte sie nur von ihm geheilt werden. In Brasilien gibt es in dieser Hinsicht viele Verkündiger, im Fernsehen wie in den Kirchen, die jede Menge Heilungen versprechen. Vor allem, wenn man richtig glaubt und genügend Geld gibt, wird man gesund.

Peter machte ihr klar, daß sie sterben wird. Darauf schickte sie ihn fort. Kurz danach mußte sie wieder ins Krankenhaus und die Ärzte sagten ihr ungeschminkt, daß sie sich ihren Sarg bestellen sollte. Es gibt keine Hoffnung mehr. Darauf bat sie Peter, wiederum zu kommen, und diesmal war sie bereit, das Evangelium anzuhören. Lange sprach Peter mit ihr über den Heilsplan Gottes und erklärte, wie Jesus der Retter von Sünde und Schuld ist. Nach diesen ausführlichen Darlegungen war sie bereit, ihr Leben mit all der großen Schuld in echter Reue Jesus Christus anzuvertrauen.

Die Veränderung in ihrem Leben muß dramatisch gewesen sein. Als Peter sie in der Abteilung für ansteckende Krankheiten besuchte, die er auch nur betreten durfte, weil er sich als Pastor ausweisen konnte, riefen Miraldas fünf Mitpatientinnen spontan: „Was hast du mit ihr getan?“ Sie war so verändert, man konnte es kaum fassen. Sie lebte danach noch eine Woche. Den anwesenden Ärzten sagte sie: „Ihr braucht euch um mich keine Sorgen zu machen. Der gute Hirte wartet auf mich mit offenen Armen. Und ich bete für euch, daß ihr auch zum guten Hirten findet“.

Die Ärzte waren tief bewegt. So etwas hatten sie noch nie erlebt. Wer ist dieser Pastor, der so eine Veränderung herbeiführen kann? Ihn wollten sie unbedingt sprechen. Nun, es ist nicht der Pastor, sondern das Evangelium Gottes von dem auferstandenen Herrn Jesus, der auch heute noch rettet und die Sünden vergibt.

Peter Unruh erzählte mir diese bewegende Geschichte vom Hohelied der Gnade Gottes, als wir gemeinsam zu Diensten in São Paulo unterwegs waren. Er war mein Übersetzer, als ich acht Stunden lang Unterricht in einer Wochenendbibleschule hatte. Das war Samstag der 2. Oktober. Am Sonntag hatte ich sowohl am Morgen wie am Abend Verkündigung in der Igreja Evangelica. Ein Bruder bedankte sich nach dem Vormittagsgottesdienst mit Tränen in den Augen. Eine Bibelstelle hatte bei ihm gerade am Tage zuvor so viele Fragen aufgeworfen, daß er nicht mehr weiter wußte und Gott um eine Antwort bat. Nun hatte ich in der Predigt genau diesen Text aufgegriffen und er war schier sprachlos, daß sein Gebet so schnell beantwortet worden war.

Doch die ersten Dienste meiner Reise begannen in Porto Alegre, der Hauptstadt des südlichsten Bundesstaates von Brasilien, Rio Grande do Sul. Dort hat das Missionswerk Mitternachtsruf seinen Sitz und es waren einige Vorträge organisiert worden. Der leitende Pastor einer Baptistengemeinde veranlaßte kurzfristig ein Treffen mit anderen Predigern des Bundesstaates, weil ihn die Darlegung zum Thema schwarmgeistige Strömungen so angesprochen hatte. Die Verwirrung auf diesem Gebiet ist groß und doch ist andererseits der Zusammenhang zwischen okkulten und charismati-schen Phänomenen mit Händen zu greifen. So erklärte in einer populären Fernsehsendung ein offizieller Zauberer den Christen im allgemeinen und den Pastoren im besonderen, daß es nicht ihre Aufgabe sei, Zauberei und Magie zu betreiben, wie es in Form der geistlichen Kampfführung, exorzistischen Praktiken und der angeblichen Freibetung von Landstrichen von territorialen Geistern immer mehr geschieht. Dies sei die Aufgabe der Zauberer und nicht der Christen und sie sollen diese Bereiche gefälligst ihnen überlassen.

Die Kehrseite dieser „Übergeistlichkeit“ und Dämonenabwehr: Ein Artikel in einer medizinischen Fachzeitschrift wies darauf hin, wie inzwischen immer mehr Patienten von psychiatrischen Kliniken aus „christlichen“ Kreisen kommen, wo man sie durch die neuen Methoden der „Befreiung“ und Heilung buchstäblich in den Wahnsinn treibt. Dies sind allerdings nicht neue Beobachtungen, werden aber von der modernen „evangelikalen“ Höflichkeit vornehm verschwiegen. Die jüngeren Leute zeigen sich allerdings manchmal wenig beeindruckt von diesen Tatsachen. Über die Lob-preiswelle, die nun in fast alle Kreise einsickert, werden sie systematisch für diese Geistesströmung geöffnet. Auf jeden Fall möchte man keine klaren Trennlinien ziehen und nichts von einer deutlichen Abgrenzung wissen. Bekanntlich ziehen die Menschen einen warmen Irrtum einer kalten Wahrheit vor.

Manchmal hat man allerdings auch den Eindruck, daß diese Generation mehr oder weniger betrogen werden will. Eine Entwicklung, die leider auch vor dem evangelikalen Lager nicht Halt macht. Doch auch hier gilt, es gibt nichts Neues unter der Sonne. „ Sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, daß sie nicht umkehren wollen“ (Jer. 8,4-5).

Je mehr Zauberei, Magie und Spiritismus getrieben wird, desto häufiger und aufdringlicher sind die “Wunderberichte” von spektakulären Heilungen und beeindruckenden Zeichen. Auffallend ist allerdings, wie sehr es in diesen verschiedenen Strömungen auch um das Geld geht. Je größer der Reichtum, desto größer ist der Segen Gottes, so lautet für viele die einfache Formel göttlichen Wohlwollens. Es ist die Theologie der Freunde Hiobs, die in diesem riesigen Land fast umfassend verkündigt wird.

Je mehr in Deutschland diese “brasilianischen” Zustände um sich greifen, denn leider erlebt auch das Land der Reformation in unseren Tagen eine okkulte Erweckung, desto massiver und selbst- wie sendungsbewußter treten nun die Propheten des “vollen” Evangeliums auf. Es ist zu befürchten, daß auch bald bei uns Zeichen und Wunder zum Schleuderpreis angeboten werden. Dabei merkt man nicht, wie genau diese Verlagerung vom geistlichen Heil zur sichtbaren Heilung zum spektakulärsten aller Heilungswunder, geschildert in Offb. 13,3, hinführt.

Streckenweise war man sehr dankbar, als ich begann, diese Zusammenhänge von der Schrift her aufzuzeigen und warum diese Phänomene nun so zunehmen. Auch das Seminar der Baptisten in Porto Alegre räumte kurzfristig noch einen Vortrag ein. Hier hatten sich ganz unerwartet Türen geöffnet und die Bitte wurde ausgesprochen, wenn ich wieder nach Brasilien kommen sollte, es doch rechtzeitig mitzuteilen.

Catherine nahm mit mir im Schlepptau besonders die Gelegenheit wahr, eine Missionarin in ein Armenviertel von Porto Alegre zu begleiten. Es gehört nicht zum Slumgebiet, aber doch zu einer ärmeren Schicht der Bevölkerung. Dort hat in einem spiritistischen Zentrum eine Spiritistin 12 arme und verlassene Kinder aufgenommen. In diesem Haus kann die Missionarin Kinderstunden halten. Die Kinder standen schon auf der Straße und als sie uns kommen sahen, hüpften sie vor Freude. Im Inneren des Hauses war alles sehr eng und arm. Die einzige Dekoration waren die Götzenfiguren, die für spiritistische Zeremonien benötigt werden. Die Küche war winzig und meine Frau konnte sich einfach nicht vorstellen, wo die Kinder schlafen. Schließlich fragte sie die Missionarin. Diese erklärte, daß es für die 12 Kinder 6 Betten gibt. Die Finanzen , um diese Kinder zu kleiden und zu ernähren, kommen von einer anderen, reicheren Spiritistin, die auch Tiere opfert. Die Kinder freuen sich so sehr über die Kinderstunden und die Liebe, die die Missionarin ihnen zeigt, daß sie kaum die nächste Stunde erwarten können. Mitten in der Höhle des Löwen, so könnte man sagen, wird die Frohe Botschaft vom Sünderheiland verkündigt und Kinder haben oft wenig Probleme, ihr Herz dem Heiland zu schenken

Von Porto Alegre ging es noch südlicher zu einer Kolonie der Mennoniten, die sowohl meine Frau wie auch mich faszinierte. Nova Colônia ist eine idyllische Ansiedlung in der Nähe der Stadt Bagé. Bagé liegt ganz im Süden Brasiliens, nur noch wenige Kilometer von der Grenze Uruguays entfernt.

Harry Janzen von der Mennoniten-Brüdergemeinde hatte mich gebeten, in dieser “neuen Kolonie” Gottes Wort zwecks Weiterführung im Glauben und Evangelisation zu verkündigen. Er holte uns von Porto Alegre ab, wo Catherine und ich bei Familie Federolf über eine Woche untergebracht waren.

Die Autofahrt von Porto Alegre, das ohnehin schon die südlichste Bundeshauptstadt dieses riesigen Landes ist, dauerte ca. 6 Stunden. Harry erzählte uns, wie früher in ihrer Kolonie zur Zeit des Sonntagsgottesdienstes immer jemand zu Hause bleiben mußte, weil während dieser Zeit gestohlen wurde. Die ursprünglichen Anwohner hatten keine Ahnung von biblischen Maßstäben oder dem Evangelium. Sie meinten, was anderen gehöre, ist auch ihr Eigentum. Insofern kamen sie in die am Sonntag vormittags leerstehenden Häuser und aßen, was auf dem Herd stand oder einfach Lebensmittel, die sie irgendwo in der Küche oder den Vorratsräumen fanden. Es waren also nicht böswillige Diebstähle, die großen Schaden anrichteten. Fast hätte man es als Mundraub bezeichnen können und die Täter selber hatten kein Schuldgefühl. bzw. Unrechtsbewußtsein. Es entsprach viel mehr ihrer Kultur.

Anstatt sich nun über den unzivilisierten Zustand der “Urbevölkerung” aufzuregen, begannen einige Mennoniten, diesen Leuten das Evangelium zu verkündigen und sie in den Geboten Gottes zu unterweisen. Es bekehrten sich viele dieser Brasilianer und die anderen öffneten sich zumindest den ethischen Grundlinien der Bibel. Auch verschafften die mennonitischen Einwanderer den Bewohnern Arbeit. Ergebnis: Die Diebstähle hörten auf und nun ist Colônia Nova ein Ort, wo Kriminalität fast unbekannt ist. Das Evangelium hatte so machtvoll die Herzen bzw. die Grundein-stellungen verändert, auch bei denen, die Jesus nicht nachfolgten, daß man hier nun tatsächlich, wie Paulus sagt, ein ruhiges und stilles Leben führen kann; ohne Angst vor Überfall, Diebstahl, Autoklau und dergleichen, was in anderen Teilen Brasiliens leider allgegenwärtig ist. So ereigneten sich Diebstähle und Überfälle in der Zeit unseres Besuches in unserem Freundesbereich und man könnte in diesem Land manche „Räubergeschichte“ erzählen.

Das Beispiel von Colônia Nova, das vor ca. 50 Jahren seinen Anfang nahm, zeigt einmal mehr, wie eigentlich nur die Kraft des Evangeliums das bewirkt, was man heute mit viel Gesetzen und Appellen im Rahmen eines ebenso weltfremden wie naiven Humanismus erreichen möchte und gerade nicht funktioniert. Nämlich das friedliche und repressionsfreie Zusammenleben der Menschen, das uns unsere Ideologen mit der Kulturrevolution vorgegaukelt hatten. Erreicht wurde das genaue Gegenteil.

Die Mennonitische Bewegung entstand zu Luthers Zeiten. Oft wurden diese Täufer verfolgt. Ein schwerer Schlag kam für sie im letzten Jahrhundert. 11000 Mennoniten wurden in die Sibirische Verbannung geschickt, nur 5000 durften Rußland verlassen. 1929 waren 1200 mennonitische Flüchtlinge von Rußland nach Deutschland ausgewandert. Deutschland nahm sie nicht auf und so reisten sie als Staatenlose nach Brasilien weiter und erhielten da die brasilianische Staatsbürgerschaft. Da sie jedoch einen deutschen Ursprung haben, pflegen sie zum Teil immer noch ihre Muttersprache.

1930 hatten sie sich im Urwald in Santa Catarina angesiedelt. Sie fingen mit nichts an, begannen Bäume zu fällen und Mais und Maniok zu pflanzen. In Rußland waren sie Steppenbauern gewesen und hatten Weizen angebaut. Sie träumten davon, wieder Weizen zu kultivieren. Als sie hörten, daß dies im Süden von Brasilien möglich wäre, entschlossen sie sich, über tausend km südlich, bei Bagé, Land zu pachten (1256 ha) und zu kaufen (1000 ha). Sie verließen den Urwald und gründeten im Süden eine neue Siedlung. Im September 1949 kamen die ersten 86 Familien nach Colônia Nova, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen. In kurzer Zeit waren riesige Weizenfelder entstanden, es wurden Schulen, Straßen, eine Kirche und ein Krankenhaus (mit finanzieller Hilfe aus Deutschland) gebaut. 1953 hatte Colônia Nova schon 204 Familien. Jedoch ab 1959 wollte die Weizenkultur nicht mehr gelingen. Die Bauern mußten sich etwas anderes einfallen lassen. Sie fingen mit Viehzucht an.

Heute leben noch 213 Familien in der Kolonie, (jede Familie besitzt durchschnittlich 63 ha), auf den riesigen Weiden befinden sich 5000 Milchkühe und 4000 Stück Schlachtvieh. Diese Bauern liefern 70% der ganzen Milchproduktion der Gegend. Es gibt bei den Mennoniten keine Analphabeten (im Gegensatz zu anderen Orten), 80% von ihren Kindern machen Abitur, 8% haben Universitätsausbildung.

Catherine und mich hat diese Atmosphäre sehr angesprochen. Der treue Herr schenkte ein gnädiges Wirken bei der Verkündigung und Menschen suchten das Heil in Jesus Christus oder hatten den Wunsch, dieses festzumachen. Ähnlich war es bei der mennonitischen Konferenz in Curitiba. Dieses jährliche Ereignis war der direkte Anlaß gewesen, mich wieder einzuladen. Schön war auch das Wiedersehen mit den Geschwistern der Gnadauer Brasilienmission (MEUC) im Bundesstaat Santa Catarina. Es ist eindrücklich zu sehen, wie viel in die Reha-Arbeit investiert wird und man hier im Glauben vorangeht.

Hans Fischer, der derzeitige Leiter der MEUC in Brasilien, erzählte mir, wie sein Sohn Alexander der beste Student in dem Fach Administration seines Jahrgangs an der Bundesuniversität in Santa Catarina war. Nach dem Abschluß seines Studiums 2001 suchte er einen Arbeitsplatz. Es bot sich eine Stelle beim größten Fernsehsender Brasiliens, Globo, an. Die ersten Vorentscheidungen (Prüfungen) wurden am Internet abgewickelt. Unter mehr als tausend Bewerbern kam er unter die letzten zehn. Danach wurden die Prüfungen bzw. Interviews individuell durchgeführt. So kam es zu einem persönlichen Gespräch mit dem Prüfungsausschuß. Dort stellt man ihm eine und damit auch die letzte Frage. „Was ist ihre Meinung zur Homosexualität?“. Alexander antwortete: „Das ist Sünde, kann aber vergeben und geheilt werden.“ Hiermit war die Vorstellung zu Ende.

Letzte Station der Reise war wiederum Rio, bzw. Niteroi, wo ich im Rahmen von Nilson Faninins Baptistengemeinde im Bibelseminar vor allen Studenten verkündigen konnte. Fanini erzählte, wie Rio de Janeiro nun der erste Bundesstaat Brasiliens ist, der mehr Evangelikale als Katholiken hat. Es ist sogar verfassungsmäßig festgelegt, daß die Bibel in allen Schulen unterrichtet werden darf und kann. Auch ist die Bibelkritik nicht ein so aktuelles Thema wie bei uns. Für die meisten Brasilianer ist die Bibel Gottes Wort. Das gibt Freudigkeit, trotz des Durcheinanders in anderen Bereichen, in solchen Ländern zu evangelisieren. So reagierten bei einem Aufruf nach einer Predigt zum Thema Heilsgewißheit und Errettung mehr als ein Dutzend Leute. In diesem Land sind trotz mancher Widersacher noch viele Türen offen (1. Kor. 16,9). Möge die Gnade Gottes noch viel Frucht wirken.

Dank Gottes Güte durfte es eine gesegnete wie bewahrte, um nicht zu sagen fast problemlose Reise sein. Wechselbäder gab es nur im klimatischen Bereich. So war der 7. September der heißeste Tag in Porto Alegre und das Thermometer kletterte auf fast 34 Grad. Zwei Tage später war die Temperatur um 20 Grad gefallen. Doch diese sichtbaren Schwankungen sind zu ertragen, solange wir uns, nicht zuletzt dank vieler Gebete, geborgen wissen unter der guten Hand Gottes.

Alexander & Catherine Seibel


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