12. Okt.-3. Nov. 1995
"Ihr habet für die Menschenrechte gestimmt,
jetzt habt ihr die Kriminalitätsrechte",
sagte ein Detektiv im Raum Johannesburg zu einem
Schwarzen. Meine Gastgeber berichteten davon,
wie Johannesburg die höchste Kriminalitätsrate
von ganz Südafrika überhaupt hat, womöglich
die höchste der Welt. Die Verbrechensrate
ist jedenfalls seit der nun eineinhalb Jahre amtierenden
neuen Regierung der nationalen Einheit dramatisch
angestiegen. Allgemein herrscht bei den Weißen
eine "Bunkermentalität". Jedes
Haus ist besonders bewacht oder durch Alarmanlagen
geschützt. Um in ein Haus einzutreten, braucht
es einen ganzen Schlüsselbund. Die Fenster
sind alle vergittert, Türen besonders gesichert.
Als mein Gastgeber, Dirk Franzmann, einmal vergaß,
das Fenster zu schließen, hat durch das
Gitter hindurch jemand sein Notebook gestohlen.
Die Mehrheit der Weißen, die ich befragte,
sehen die Zukunft düster bis schwarz. Das
Vertrauen in die Polizei ist gering. Die Polizisten
sind unterbezahlt und überfordert. Weil auch
schwersten Verbrechen manchmal nicht nachgegangen
wird, werden immer häufiger Menschen wegen
Lappalien ermordet.
Ein Ehepaar fuhr vom Gottesdienst nach Hause,
als es von Gangstern angehalten wurde, die Wagen
und Geld forderten. Die Frau bat nur noch, ihre
Bibel aus dem Auto nehmen zu dürfen. Alles
andere sei ihr weniger wichtig und dürften
die Diebe haben. Als sie sich in den Wagen beugte,
wurde sie erschossen. Diese besondere Bitte hatte
sie das Leben gekostet.
Türen und Fenster bleiben bei den Autos
auch während der Fahrt verschlossen, weil
schon bei mancher Kreuzung auf einmal der Fahrer
in eine Pistole blickte. Dankbarerweise dürfen
sich Gläubige beschützt wissen, sonst
könnten sie nur noch um ihr Leben bangen.
Mit der Wirtschaft geht es langsam aber sicher
bergab. Da viele Wahlversprechen nicht eingehalten
werden konnten und einige nun merken, daß
es ihnen vor der "Befreiung" besser
ging, rufen sogar etliche Schwarze: "Wir
wollen den De Klerk wieder haben." So schreibt
eine Tageszeitung: "Viele Schwarze sind tief
enttäuscht: Von den Gelöbnissen des
ANC, Millionen Arbeitsplätze und Häuser
zu schaffen, ist bisher wenig zu sehen. Die hohe
Kriminalität, die seit den Wahlen vor 18
Monaten noch weiter zugenommen hat, wurde zum
vorrangigen Wahlkampfthema. Schwarze, die jeden
Tag in Angst vor Autoentführungen, Morden
und Diebstählen leben, fragen sich, wo die
Verbesserung ihres Lebensstandards geblieben ist,
die sie mit der Befreiung von der Rassendiskriminierung
erwartet hatten."
Doch das Charisma von Nelson Mandela ist nach
wie vor groß und es ist zweifelsfrei, daß
er auch bei den gegenwärtigen, lokalen Wahlen
als strahlender Sieger hervorgehen wird. Die Situation
hat sich insofern verschlimmert, als viele Schwarze
aus den umliegenden Ländern (Mozambique,
Angola, Botswana) nach Südafrika strömen,
ist es doch immer noch das wirtschaftliche Rückgrat
ganz Afrikas und hat die umfangreichste und beste
Infrastruktur.
Gegen Ende meiner Reise hatte ich noch Gelegenheit
zu einem Kurzbesuch in Sambia. Hier ist der weiße
Mann seit ca. 30 Jahren praktisch völlig
verschwunden. Die Stadt Livingston sieht genauso
aus wie damals, als 1964 die Engländer abzogen,
erklärte mir ein Weißer, der in diesem
Land geboren ist. Inzwischen hat die Stadt aber
zehnmal mehr Einwohner, die Infrastruktur ist
zum großen Teil kaputt und ca. 75% der Schwarzen
sind arbeitslos. Das einst reichste Land Zentralafrikas,
das sich von dem damaligen Südrhodesien trennte
(heute Simbabwe), um seinen Reichtum nicht zu
teilen, ist nun dank 27 Jahre Sozialismus eines
Kenneth Kaunda zum ärmsten geworden.
Besonders verbittert sind die Weißen im
allgemeinen und die Gläubigen im besonderen
über die Flut von Schmutz und Schund, die
sich seit dem Regierunsgwechsel vor 18 Monaten
über Südafrika ergießt. Für
sie ist es ein besonderer Schock, nun die Magazine
und Schriften zu sehen, die den Westen seit Jahrzehnten
demoralisiert haben. Doch Freiheit im Sinne der
"Political Correctness" geht Hand in
Hand mit Pornographie und natürlich dem Recht
auf Abtreibung. Nach der von den Internationalen
Sozialisten indoktrinierten Werteskala, die sich
in Kirche und auch bei vielen Frommen sehr erfolgreich
durchgesetzt hat, ist Arpatheid viel schlimmer
als Sodom und Gomorra und die Tötung von
Ungeborenen.
Dieser offizielle moralische Wandel war besonders
hervorstechend, gerade im Vergleich zu meiner
letzten Reise. Weil man hier noch nicht so abgestumpft
ist wie im Westen, der Sickereffekt der Gewöhnung
noch nicht so fortschreiten konnte, ist man hier
eher sensibel und ich hörte dementsprechende
Klagen von verschiedenster Seite. Die Gleichberechtigung
wurde offensichtlich zum Preis der Demoralisierung
erkauft.
Im Parlament wird nun nicht mehr offiziell gebetet.
Waren es früher im Fernsehen im religiösen
Bereich nur christliche Botschaften, die ausgestrahlt
wurden, so sind es heute Juden, Moslems und Christen,
die praktisch alle gleichberechtigt das Sagen
haben. Denn das Evangelium der Humanisten kennt
keine absoluten Werte, der multireligiöse
Wahn wird durchgeboxt, das Christentum systematisch
demontiert und aus der Öffentlichkeit verdrängt.
So ist auch das letzte Bollwerk gefallen, wo christliche
Maßstäbe vor Internationalem Sozialismus
rangierten. Zwar ist man sich einig, daß
die Arpartheid falsch war, doch die Gläubigen
sehen angesichts dieser galoppierenden Unmoral
nicht gerade optimistisch in die Zukunft, die
tatsächlich alles, nur nicht gewiß
ist.
Besondere Sorge erfüllt auch die Christen,
daß sich die Kommunisten immer mehr an die
Schalthebel der Macht gesetzt haben. Für
sie ist Nelson Mandela zu gemäßigt
und eine Publizistin schreibt sogar: "Die
SCAP (Südafrikanische Kommunistische Partei)
ist jetzt die herrschende Macht in Südafrika".
Im Rahmen der Stadtmission Johannesburg evangelisierte
ich in einem Distrikt der Stadt, und zwar vom
14. bis 18. Oktober. Danach flog ich nach Kapstadt
zu weiteren Vorträgen. Es war eine Freude,
das Wiedersehen mit den Geschwistern Hechler und
Buchhorn und ihren Familien. Gemeinsam mit Lothar
Buchhorn besuchte ich einen Studentenpastor, der
ein Video zum Thema "Toronto-Segen"
zusammengestellt hatte.
Rodney Howard-Browne, die zentrale Gestalt dieses
"Segens", stammt ja aus Südafrika
und insofern war es von Interesse zu erfahren,
wie hier diese Welle sich ausbreitete. Rodney
Howard-Browne war in der Gemeinde von Ray McCauley,
der zu dieser "Wort des Glaubens"- Bewegung
gehört, hat er doch eine zweijährige
Bibelschulausbildung bei Kenneth Hagin, dem Vater
dieser Bewegung, erhalten.
McCauleys Rhema-Gemeinde ist die größte
von Johannesburg und insofern war es überraschend,
daß hier Rodney Howard-Browne mit seiner
besonderen "Salbung" abgewiesen wurde.
Womöglich, wie jemand meinte, weil es die
eigenen Leute wegziehen würde. Denn einige
Kreise, in denen der "Toronto-Segen"
im Raum Johannesburg praktiziert wird, haben in
erster Linie Zulauf aus der "Rhema-Gemeinde",
allerdings auch aus etlichen anderen charismatischen
Kreisen.
Der Studentenpastor, Dr. Roger Palmer, hatte
einige Videoausschnitte von Howard-Brownes Auftritten
zusammengestellt und kommentiert. Es ist eine
eindrückliche Dokumentation, die auch blauäugigen
Befürwortern die Augen öffnen sollte.
So läßt beispielsweise Howard-Browne
bei einer Gelegenheit die Leute vor sich aufstellen,
sich gegenseitig an die Hände fassen und
befiehlt ihnen, nicht zu beten. Darauf erklärt
er, wie er der Schwester vor ihm nun die Hände
auflegen wird und daraufhin wird die Kraft Gottes
bis ans andere Ende dieser Reihe fließen.
So geschieht es auch. Wie beim Domino-Effekt fallen
die Leute gemäß seiner Ankündigung
zu Boden.
Bei einem anderen Ausschnitt sieht man Howard-Browne
vor dem Rednerpult stehen, ohne Worte, nur hin
und wieder ins Mikrophon blasen. Jedesmal, wenn
er bläst, wird das Geschrei und hysterische
Gelächter intensiver. "Höhepunkt"
ist ein gemeinsamer Auftritt mit Kenneth Copeland,
rechte Hand von Kenneth Hagin. In einer Klamaukatmosphäre
plappern sie sich gegenseitig in Zungen an, wobei
man nicht nur schallend lacht, sondern sich auch
buchstäblich vor Gelächter krümmt.
Der Kommentar dazu, sogar von charismatischer
Seite: "Absolutely dreadful" (Absolut
schrecklich).
Auf dieser Videokassette erklärt Roger Palmer,
wie diese Strömung auch charismatische Gemeinden
gespalten hat. Später fragt er: "Wo
sind die Pastoren, die 'Wolf' rufen?" Leider
muß man heute bei vielen Verantwortlichen
feststellen, wie sie große Sympathie mit
den reißenden Wölfen (Apg. 20,29) haben,
über die zerrissenen Schafe breitet man aber
den Mantel des Schweigens, bzw. die Decke einer
seelischen Liebe, die anscheinend alles toleriert.
Doch hier war ganz offensichtlich ein Diener Gottes,
der sich gegen diese falsche Toleranz und Nächstenliebe
wendet, weil ihm die Gemeinde und die Bewahrung
der Gläubigen wirklich ein Anliegen ist.
Jedenfalls hatte ich ein zweistündiges Gespräch
mit Roger Palmer und es ergab sich ein Informationsaustausch
bei Gleichklang der Herzen. Falls ich wieder nach
Kapstadt kommen sollte, ist ein Vortrag vor Studenten
geplant.
Ein weiterer Höhepunkt, abgesehen von der
Evangelisation, war mein Vortrag in der Florida
Baptist Church (Johannesburg) zu dem Thema "New-Age,
Fanatsy". Diese Darlegung war schon vorher
in der Stadtmission von den meisten dankbar abgenommen
worden. U.a. hatte mich eine Schwester gehört,
die früher auch eine charismatische Gemeinde
besuchte. Wegen des "Toronto-Segens"
war sie aber von dort weggegangen und besuchte
nun die Baptisten-Gemeinde. Sie meinte, diese
Zusammenhänge sollten unbedingt bekannt und
vor allem den jungen Leuten dargelegt werden.
Der verantwortliche Pastor zeigte sich für
dieses Anliegen aufgeschlossen und nun ging es
darum, noch einen freien Termin zu finden, denn
alle nachfolgenden Dienste waren bereits für
Kapstadt geplant.
Es fand sich tatsächlich noch eine Lücke,
nämlich am Sonntagabend, den 29. Oktober.
Vormittags hatte ich noch die Predigt im Gottesdienst
in Kapstadt zu halten, die teilweise evangelistisch
ausgerichtet war. Zwar gab es, ähnlich wie
bei der Evangelisation in der Woche vorher, keine
unmittelbaren Resultate, doch nicht nur ich hatte
den Eindruck, das Gottes Wort an etlichen Herzen
am Wirken ist. Dann ging es mit dem Flugzeug zurück
nach Johannesburg. Meine offizielle Ankunftszeit
war für 16.55 Uhr angegeben. Um 18.00 Uhr
begann der Gottesdienst.
Eigentlich war es ein Vabanquespiel. Was ist,
wenn das Flugzeug Verspätung hat? Was ist
im Falle eines Staus auf der Autobahn um Johannesburg?
Leider liegt diese Baptistengemeinde am genau
entgegengesetzten Ende zum Flughafen. Das Wunder
geschah. 1 Minute nach 18.00 Uhr war ich in dieser
Freikirche. Dieses Thema in Englisch darzulegen,
war nicht immer einfach, doch wenn man so einen
Vortrag äußerlich beurteilen darf,
war die Bereitschaft sehr groß, zuzuhören.
Besonders der verantwortliche Pastor und seine
Mitarbeiter bedankten sich herzlich.
Vom Sichtbaren her waren wiederum die herrlichen
Naturschönheiten und die vielfältige
Fauna Höhepunkte für das sterbliche
Auge. Am 3. November 1995 durfte ich wohlbehalten
wieder am Frankfurter Flughafen eintreffen. Daß
wiederum alles, trotz manch knapper Planung, problemlos
ablaufen durfte, ist auch nur Gnade Gottes. So
sei hier allen Betern und solchen, die hin und
wieder in der Fürbitte an diese Reise gedacht
haben, ein herzliches Danke ausgesprochen.
Alexander Seibel