(4. bis 9. August 1992)
Der Flughafen wirkte wie von einem Heerlager heimgesucht.
Menschenmengen lagerten oder kampierten im düsteren
und schmutzigen Umfeld des weit ausgedehnten Geländes.
Fast beschlich mich so etwas wie Beklemmung beim
Anblick dieser Massen von Menschen, die offensichtlich
alle auf einen Flug warteten. Der Vergleich mit
Indien drängte sich auf, obwohl ich die dortigen
Flughäfen in sauberer Erinnerung habe. Nach
Zurücklegung hunderter Meter landeten wir
endlich in einer abgewirtschafteten Halle, in
der sich der Flugschalter für den Weiterflug
von Moskau nach Omsk befand. Die Ernüchterung
kam noch stärker, als sich beim Einchecken
herausstellte, daß dieser Flug, der auf
unseren Tickets angegeben war, ausfiel. Statt
kurz nach Mitternacht konnten wir erst um 8.30
Uhr nach dieser sibirischen Stadt weiterfliegen.
Wie kam es nun, daß ich nach Sibirien flog?
Ein ursprünglich geplante Rußlandreise
für Ende Juli hatte ich der Familie zuliebe
abgesagt. Weil Ferienzeit war, wollten wir als
Familie noch etwas gemeinsam unternehmen. Mein
Visum war noch bis Mitte August gültig und
so bestand eine schwache Hoffnung, daß,
obwohl erst am 2. August vom Urlaub zurückgekehrt,
doch noch eine Reise in dieses riesige Land sich
ergeben könnte. Doch so kurzfristig schien
sich keine Tür aufzutun. Bis sich herausstellte,
daß Hartmut Zopf, Leiter der SMD-Arbeit
Ost, eine Reise nach Omsk vom 4. bis 9. August
geplant hatte. Eingeladen war er zur Jugendkonferenz
der Evangeliums-Christen Baptisten, die in dieser
westsibirischen Stadt im Institut für Landwirtschaft
tagen sollte. Es ging darum, zur Ausdehnung der
Studentenarbeit an sibirischen Universitäten
Kontakte zu knüpfen. Ich bot mich als Begleiter
an und so begann meine erste Reise in das größte
Land der Erde.
Angekommen am internationalen Flughafen in Moskau,
begann eine abenteuerliche fast einstündige
Fahrt über den Stadtring zum Inlandflughafen
Domedjedowo. Dort hatte ich meinen eingangs erwähnten
leichten Kulturschock. In abgenützten Polsterstühlen
suchten wir etwas Schlaf zu finden. Es war schwül
und heiß. Selten habe ich so viel geschwitzt,
wie bei dieser Reise nach Sibirien.
Am Tag unserer Ankunft lernte ich Denton Lotz,
Generalsekretär des Weltbundes der Baptisten,
und Wasily Logwinenko, Präsident der Evangeliumschristen
Baptisten Rußlands, kennen. Die Baptisten
in Omsk luden uns zu einem Picknick am Fluß
ein. Am Ufer des Hauptstroms von Omsk, der Irtysch,
saßen wir in idyllischer Umgebung beisammen
und genossen am Spieß gebratenes Fleisch.
Am nächsten Tag war die Eröffnung der
Konferenz, die unter dem Thema, Jugend für
Christus und dem Bibelvers aus Prediger 12,1 stand,
"Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend".
Hartmut stellte die ersten Kontakte zu Studenten
her, und ich predigte in der Baptistengemeinde
über Heilsgewißheit.
Da ich nur als Begleiter kam, war für mich
nichts offiziell vorgesehen. Doch die Türen
sollten sich unerwartet schnell auftun. Bei dieser
Jugendkonferenz wurden verschiedene Seminare gehalten.
Eines war zu dem Thema Die modernen Irrlehren
und die christliche Jugend. Der dafür vorgesehene
Refernt war noch nicht eingetroffen, und so wurde
von einem Studenten, der besonders Hartmut begleitete,
angefragt, ob ich dieses Seminar übernehmen
könnte. Problemlos wurde dieser Vorschlag
angenommen und immer deutlicher erkannte ich,
daß sich diese Reise nicht zufällig
so unerwartet ergeben hatte. Am nächsten
Tag kam Andrei Melnikov, der ursprünglich
geplante Seminarleiter, dann doch noch. Er wollte
über die Zungenbewegung sprechen. Die Buchautoren,
aus denen er beabsichtigte zu zitieren, waren
Kurt Koch und Alexander Seibel. Mein Übersetzer
wies darauf hin, daß ich neben ihm saß.
Seine Überraschung war ebenso groß
wie seine Freude und gerne überließ
er mir das Seminar. Wir teilten uns die Vorträge.
Bibelwissen ist bei diesen treuen Geschwistern
nicht so vorhanden, da viele sich erst vor kurzem
bekehrt haben. So verbrachte ich einige Zeit damit,
biblische Grundwahrheiten zu beleuchten. Das Seminar
fand am Freitag und Samstag statt.
Beim Mittagessen, das für die Redner in
einem besonderen Raum stattfand, saß ich
dem Präsidenten und Jugendsekretär des
russischen Baptistenbundes gegenüber. Ich
wurde gefragt, was ich von Handauflegung und der
charismatischen Strömung halte. Es stellte
sich heraus, daß fast alle Verantwortlichen
die russische Übersetzung meines Buches Gemeinde
Jesu - endzeitlich unterwandert? kannten. Hektographiert
war es weitergegeben worden. Die Brüder waren
nun freudig überrascht, den Autor vor sich
zu haben. Weil man für die aufgezeigten Zusammenhänge
in diesem Buch dankbar war, deswegen wurden nun
viele Einladungen ausgesprochen. Schon am Vortag
hatte mich der Leiter der Bibelschule der Baptisten
in Moskau, Wladimir Rjaguzov, gebeten, in seinem
Bibelseminar Vorträge zu halten. Als ich
am Mittagstisch meinen Kommentar zur Zungenbewegung
abgegeben hatte, wurde offenbar, daß die
baptistischen Geschwister große Probleme
mit den pfingstlich und charismatisch geprägten
Christen hatten und haben. Sie suchten nach Aufklärung.
Der Pastor einer großen Gemeinde in Samara
erzählte mir im privaten Gespräch, wie
sie oft beobachtet haben, daß diese Leute
nicht ehrlich sind.
Der Präsident erklärte, diese Zusammenhänge
sollten vor allem die Jugend erfahren. Er bat
mich im Plenum, also vor der gesamten Konferenz,
am nächsten Morgen zu sprechen. Mein dankbares
Staunen wurde noch größer. Angereist
als mehr oder weniger namenloser Begleiter, sollte
ich auf einmal eine Art Hauptreferat halten. Wenn
Gott das Protokoll führt, stehen wir Menschen
fast staunend daneben. Nicht nur das Seminar bot
sich an, sogar zu einem Plenumsvortrag wird man
auf einmal gebeten.
Wegen der großen Verantwortung suchte ich
umso mehr das Antlitz Gottes. Lob und Dank verband
sich mit der Bitte um Weisheit und Sanftmut für
dieses Referat. Wladimir war mein Übersetzer.
Zuvor besprachen wir noch die Hauptpunkte meines
Vortrags. Der treue Herr schenkte reichlich Gnade
und die Abnahme war so positiv, daß sich
viele, einschließlich des Generalsekretärs,
für die Darlegung dieser Zusammenhänge
ausgesprochen dankbar zeigten.
Beim Abschied bedankte sich der Präsident
nochmals ausdrücklich und erklärte,
solche Vorträge seien notwendig und informativ.
Die Brüder traten an mich heran und baten
dringend um einen weiteren Besuch. Man wollte
mich am liebsten für mehrere Monate einplanen.
Dies wird nun doch nicht möglich sein, aber
mir wurde versichert, sie würden alles koordinieren
und ich könnte in dem ganzen riesigen Lande
zu den Evangeliums-Christen Baptisten sprechen.
Auch um Gelegenheiten zum Evangelisieren würden
sie sich kümmern. Daß sich mein Herz
über so viel Güte und Führung Gottes
mit Dank füllte, braucht nicht besonders
erwähnt zu werden.
Es hatte die Konferenz eine feine und angenehme
Atmosphäre. Die vorwiegend jungen Leute machten
einen innerlich reinen und geistlichen Eindruck.
Durch Verfolgung und Mangel waren diesen Gläubigen
Verweltlichung und Selbstverwirklichung, wie sie
bei uns anzutreffen sind, mehr oder weniger unbekannt.
Die Vorträge von Denton Lotz - da auf Englisch
gehalten, konnte ich hier mithören - waren
zentral und christozentrisch. Es war einfach alles
ein Geschenk des Herrn. Am Abend evangelisierte
ich nochmals in der Baptistengemeinde vor Ort.
Die Verantwortlichen baten noch dringender, ich
möge wiederkommen. Es fällt schwer,
sich solch innigen Bitten und brüderlich
freundlichem Werben zu entziehen.