(29. Jan. - 21. Febr. 1992)
Das harte Aufsetzen der Maschine von Air India
auf der Landepiste des Flughafens von Bangalore
erinnerte mich unsanft daran, daß das Gespräch
beendet werden mußte. Während des Fluges
konnte ich einer europäischen Frau, die einige
Zeit in dem Ashram des verblichenen Bhagwans in
Pune verbrachte, Zeugnis geben. Trotz ihres Interesses
für Gurus war sie erstaunlich offen für
das Evangelium.
Flüge nach Bangalore sind oft ausgebucht,
denn 90% der Passagiere sind unterwegs, um Indiens
berühmtesten "Lehrer", der in der
Nähe Bangalores residiert, zu besuchen, nämlich
Sai Baba.
Doch wie komme ich nach Pune, das ehemals unrühmlich
durch den Sex-Guru Raijneesh bekannt geworden
ist? In Pune befindet sich auch UBS (Union Biblical
Seminary), die womöglich einflußreichste
evangelikale Ausbildungsstätte des indischen
Subkontinentes. Durch einen lieben indischen Bruder,
Freund des Dekans von UBS, wurde dort ein Besuch
vermittelt. Insgesamt wurden mir 3 Vorträge
zugeteilt, wo ich offen über die Fragen der
Verführung und Ausbreitung der Strömungen,
die Zeichen und Wunder auf ihre Fahne geschrieben
hatten, sprechen sollte. Es war keine leichte
Aufgabe, als Ausländer solch heiße
Eisen anzupacken, doch der Dekan freute sich und
war offensichtlich dankbar für alle Informationen.
Da UBS eine interkonfessionelle Bibelschule ist,
gibt es dort auch etliche Studenten, die aus indischen
Pfingstgemeinden kommen. Als nach dem letzten
Vortrag Fragen gestellt werden konnten, kam von
dieser Seite mancher Widerstand. Doch war dies
die Minderheit. Viele Studenten bedankten sich
ausdrücklich, wie sehr ihnen die Darlegungen
geholfen hätten. Vor allen Dingen, so entschied
eine ganze Reihe von Studentinnen, wollten sie
in Hinkunft viel genauer von der Schrift her die
gegenwärtigen Strömungen prüfen.
Schon vorher konnte ich erleben, wie der treue
Herr in seiner Gnade mich mit Menschen zusammenführte,
die voll Dankbarkeit solche Unterlagen und Informationen
zur Kenntnis nahmen. Bei einem Treffen der Gebietsleiter
in Bombay von IEM (Indian Evangelical Mission),
also eigentlich Multiplikatoren und Christen in
verantwortungsvollen Positionen, klagte mir eine
feine Schwester, wie ihre Kinder sich in Madras
einer charismatischen Gemeinde angeschlossen haben.
Sie hätte so gerne Argumente gehabt, um das
Phänomen des "Slain in the Spirit"
(im Geist erschlagen) biblisch einordnen und widerlegen
zu können. Für solche Begegnungen und
Führungen war ich zutiefst dankbar.
In Bangalore gab es ein freudiges Wiedersehen
mit Lilo Penny, in deren Haus Christoph Stenschke,
mein treuer Reisebegleiter, und ich nun ein paar
Tage verbrachten. Lilo ist Deutsche, die mit ihrem
englischen Mann Ron Penny seit 1967 in Indien
lebt. Schon bei meinem letzten Besuch 1988 war
ich dort kurzfristig untergebracht.
Früher als erwartet, nämlich schon
am Sonntag den 9. Februar, kam George Prakash
vorbei, um uns für OTI (Outreach Training
Institute), das eigentliche Schulungsprogramm
von IEM, abzuholen. Am Montag sollten die Vortragsreihen
beginnen und sowohl Christoph als auch ich hatten
nun jeden Tag Unterricht. Christoph sprach über
Interpretationsrichtlinien für Gesetz und
Propheten. Der Nachmittag war frei und nun konnten
wir auch etwas ausspannen, war ich doch vorher
fast ständig zu Vorträgen eingeteilt.
Die ganze Reise verlief nämlich unter der
"Schirmherrschaft" der in Indien in
großem Segen wirkenden Missionsbewegung
IEM, die auch die Vorträge, Seminare und
Termine organisierte. Ihr ehemaliger Leiter, Theodore
Williams, Präsident der Weltweiten Evangelischen
Allianz, hatte dies in die Wege geleitet, weil
ihn der wachsende Einfluß der charismatischen
Strömungen, die Zunahme der Betonung von
Zeichen und Wundern und die damit verbundene Verwirrung
immer mehr beunruhigten. Durch seine vielen Beziehungen
gab es nun keinen Mangel an Vortragsmöglichkeiten
und Predigtdiensten.
Am Ende der Woche gab es unter den Studenten
ein dankbares Echo, obwohl etliche zu Beginn eher
kritische Fragen stellten. Doch mehr und mehr
wurde ersichtlich, wie wichtig der ganze Ratschluß
der Bibel ist und wie eine profunde Bibelkenntnis
bzw. ein Überblick über Gottes Wort
zur Unterscheidung der heutigen Strömungen
eine Art Mindestvoraussetzung darstellt.
Dies ist Grund zur Dankbarkeit und sicherlich
die Frucht Eurer vielen und treuen Gebete. Denn
manche Begegnung und etliche Gespräche waren
so aufeinander abgestimmt, daß man dies
nur durch göttliche Führung, schon gar
nicht aus eigener Geschicklichkeit heraus, erklären
kann.
In dieser Unterrichtswoche konnte ich an den
freien Nachmittagen manchen Spaziergang unternehmen.
Eine Landschaft, die wie eine Mischung aus Savanne
und Lüneburger Heide auf mich wirkte, umgibt
OTI. Es ist fast ein Paradies für Vogelbeobachter.
Indiens Reichtum an herrlichen Vögeln ist
für ein zoologisch interessiertes Herz atemberaubend.
Am Samstag den 15. Febr. waren wir Gäste
bei einem regionalen Jugendtreffen zu dem ca.
150 Jugendliche erschienen. Geleitet wurde es
von Dr. Theodore Srinivasagam, der auch die Hauptansprache
hielt. Er ist der neue Generalsekretär der
IEM und Nachfolger von Theodore Williams. Wir
stellten einige Parallelen zwischen uns fest.
So ist Srinivasagam Doktor der Zoologie. Dieses
Fach war jahrzehntelang mein Hobby. Beide haben
wir uns als Studenten bekehrt und sind, obwohl
offiziell keine Theologen, mit einer naturwissenschaftlichen
Ausbildung in den vollzeitigen Dienst für
unseren Herrn und Erlöser gerufen.
Jedenfalls wurde ich gebeten, bei diesem Jugendtreffen
mein Zeugnis zu geben, das in Tamil übersetzt
wurde. Es wurde so positiv abgenommen, daß
die verantwortlichen Brüder danach klar zur
Übergabe an Jesus aufriefen. Es sollten sich
nur solche melden, die noch nie diesen Schritt
getan haben. Etliche hoben ihre Hände und
so hoffen wir, daß Freude im Himmel über
Sünder gewesen ist, die Buße taten.
Der Nachmittag war für jeden missionarisch
gesinnten Jünger Jesu ein besonderes Ereignis.
Es wurde zu einem Stamm in der Nähe eingeladen,
der von einem Missionar der IEM betreut wird.
IEM arbeitet bevorzugt unter Ureinwohnern Indiens.
So besuchten wir ein Dorf bestehend aus ca. ein
Dutzend Hütten, in dem etwa 150 bis 200 Einwohner
leben. Es kam mir dies wie eine Reise in die Vergangenheit
vor. Menschen leben hier in einfachen Hütten
wie seit Anbeginn. Doch das Evangelium hat schon
in etlichen Herzen Fuß gefaßt und
so stellten sich diese Stammesleute samt ihrem
"Häuptling" gerne dem Besuch und
den Fragen der Jugendgruppen. Obwohl einen zivilisatorisch
bald Jahrtausende trennten, war doch schon ein
Gleichklang der Herzen zu erkennen, weil die Frohe
Botschaft bei diesem Stamm schon so viel Einlaß
gefunden hat. Das ist vielleicht das größte
Geschenk und der größte Reichtum der
Gläubigen, diese wahre, unorganisierte Einheit
der Gemeinde Jesu.
Die letzte Station unserer Reise war Madras,
überbevölkerte Großstadt an der
Südostküste Indiens und Hauptstadt von
Tamil Nadu. Es ist ein Tummelplatz für Schwärmer.
Womöglich deshalb, weil dort Indiens bekanntester
christlicher Wunderheiler, Dhinakaran, residiert.
Sein großes Vorbild ist Oral Roberts. Wiederum
hatte IEM Seminare für mich organisiert,
ähnlich wie in Bombay und Bangalore. Diesmal
sollte ich besonders zu den Wunderheilern Stellung
nehmen. Anwesend waren ca. 60 Leute, in erster
Linie Pastoren, Verkündiger und andere Multiplikatoren.
Wiederum bedeutete dies eine große Verantwortung
und Herausforderung.
Ein tamilischer Bruder zeigte mir einen Artikel
in der indischen Zeitschrift "The Week"
vom Februar dieses Jahres. Die Überschrift
lautet "Miracle Man" und behandelt die
katholisch charimsatische Heilungsbewegung. Ein
katholischer Priester namens Mathew Naickamparambil
hat ein christliches Ashram gegründet, wo
Tausende von Katholiken und andere Christen hinpilgern
und in einer seelischen Wohlfühlatmosphäre
bei Zungengebet und Weissagungen Heilungen erfahren.
Der Pater beschreibt Krankheiten und ruft Namen
heraus, die ihm unter den Anwesenden angeblich
vom Heiligen Geist offenbart werden.
Die Karriere des katholischen Wunderheilers begann
mit einem übernatürlichen Erlebnis im
Jahre 1970. So berichtet der Pater: "Eines
Morgens als ich betete, wurde mein Körper
von einer Aura ca. 15 Minuten lang eingeschlossen.
Dies hat sich in den nächsten sechs Monaten
öfters wiederholt. Ich konnte erkennen, wie
ich völlig verändert wurde. Dann konnte
ich einen Asthmapatienten heilen. Das war mein
erster großer Heilerfolg." Indien ist
ein Land, das vom Okkultismus fasziniert ist,
so schreiben Larry Collins und Dominique Lapierre
in ihrem Bestseller Um Mitternacht in die Freiheit.
Bei diesem geistlichen Nährboden wächst
der fromme Spiritismus bestens und dementsprechend
die Anzahl der christlichen Wundergläubigen.
Doch in Form der New-Age-Bewegung greift der Osten
immer stärker nach uns und so ist diese Heilungs-
und Wundersucht bald ein weltweites Phänomen.
Bei der Fahrt durch Madras lächelte mich
von den Plakatwänden an vielen Stellen ein
geistlicher Supermann an. Seine Versprechungen,
die ihn groß ankündigen, sind atemberaubend.
"Die Blinden sehen, Taube hören wieder
und Lahme gehen! Kommen Sie in Erwartung eines
Wunders." Übelste Marktschreiereien
schon in der Ankündigung. Besonders ärgerlich
ist der Umstand, daß dieser Heilungsevangelist
Robert Tilton aus Dallas, Texas, der sich in Madras
mit messianischen Wundern ankündigt, in den
USA kürzlich als skrupelloser Schwindler
enttarnt wurde.
So war das Echo auf die Vorträge zum Teil
mehr als dankbar, da ich zu diesen traurigen Vorfällen
Unterlagen, beispielsweise den letzten Rundbrief
von Dave Hunt, mitgenommen hatte. Dave Hunts letzter
Informationsbrief behandelt die betrügerischen
Machenschaften einiger amerikanischer charismatischen
Tele-Evangelisten und Wunderheiler.
Daß diese Leute so lange toleriert wurden
und ihre Imperien, erfolgsfasziniert, weiter ausbauen
konnten, hängt mit mehreren Umständen
zusammen. Zunächst haben sie durch die wachsende
Wundersucht und den weltweit ausufernden Spiritismus
und die Zunahme der pseudocharismatischen Verführung
ein schier unerschöpfliches Potential leichtgläubiger
und manipulierbarer Seelen, denen sie in erster
Linie Geld aus der Tasche pressen. Dann hat sich
im evangelikalen Lager über eine Pseudoliebe
eine immer größere Toleranz gegenüber
diesen Strömungen eingestellt. Internationale
Kongresse bewirken eine geschickte Vernetzung
und so wird auch der evangelikale Bereich via
diplomatischer Vermittlung mehr und mehr mit einem
geistlichen Mehltau überzogen. Seminare zum
Thema Prophetie werden von John Wimber und anderen
abgehalten, wo man lernen soll, wie man Eindrücke
aus der unsichtbaren Welt empfängt.
Ähnliches gab es auch bei dem Kongreß
vergangenen November in Nürnberg. Es unterscheidet
sich dies nicht im geringsten von den Methoden
eines Dhinakaran und des oben erwähnten katholischen
Paters, Namen herauszurufen und Krankheiten als
eben geheilt anzukündigen.
Die Auswirkungen dieser großen Verbrüderungsstrategie,
die sich zur Zeit und zur Unzeit ähnlich
wie die Ökumene auf Joh. 17,21 beruft, sind
bis nach Indien zu merken. Es ist von daher erstaunlich,
daß IEM so eine klare Stellung einnimmt
und diesen Entwicklungen beispielsweise in Form
dieser Seminare gegensteuern möchte. Am letzten
Abend in Madras erzählte uns ein Mitarbeiter
von seinen Erfahrungen mit diesen schwärmerischen
Strömungen. Es ist immer die gleiche Beobachtung:
Unwahrheiten, Unmoral und Ehebrüche und Gier
nach Geld. Letzteres ist in diesen Ländern
besonders auffallend und wird auch von solchen
beklagt, die sonst eher zur Toleranz gegenüber
dieser "Frömmigkeitsrichtung" neigen.
Wie sehr ein ungeheiligtes Leben bzw. okkulte
Verstrickung Gläubige in die übergeistliche
Richtung ziehen kann, dafür gibt es in Indien
viel Anschauungsunterricht.
Christoph und mir war zum Abschluß noch
ein Bad in den warmen Bengalischen Meer vergönnt.
Sonst gab es kaum freie Zeit, da manchmal ein
Dienst dem andern folgte. Insgesamt hielt ich
36 Vorträge, Predigten und Bibelarbeiten.
Ich verdanke es zweifellos Euren vielen Gebeten,
daß die dazu nötige geistliche und
körperliche Kraft geschenkt und daß
all dies größtenteils dankbar und gut
abgenommen wurde. Auch daß wir keine Unfälle
(bei dem indischen Fahrstil bald das größte
Wunder), keine Krankheiten oder andere Komplikationen
hatten und wohlbehalten und pünktlich zurückkamen,
ist auch nicht als selbstverständlich zu
werten.
Da viele Geschwister merkten, wie nötig
solche Vorträge und wie sehr solche Informationen
und Bibelarbeiten in unseren Tagen für die
Gemeinde wichtig sind, wurden viele Einladungen
ausgesprochen. Man wolle auf noch größerer
Ebene in breiterem Umfang Seminare und Dienste
anbieten. Es sieht ganz so aus, als ob die Bande
zu diesem exotischen Land immer fester werden
und dies nicht, so der Herr will, die letzte Reise
gewesen ist.
Alexander Seibel