Eindrücke aus Indien
In 17 Tagen bekamen wir (Alexander Seibel, Matthias Ackermann, Michael Kotsch) einen
bunten und sehr vielfältigen Eindruck von diesem zweitbevölkerungsreichsten Land der
Erde. Insbesondere besuchten wir Christen mit sehr unterschiedlichem gemeindlichen und
konfessionellen Hintergrund. Wir waren bei Anglikanern, Baptisten, Brüdergemeinden,
Bakht Sing- Versammlungen und unabhängigen Gemeinden zu Gast. Insbesondere bereisten
wir mit Hyderabad, Pune und Bangalore den Süden des Landes. Wir waren in Slums, aber
auch in Häusern von sehr wohlhabenden indischen Christen.
Stellvertretend für die zahlreichen Begegnungen und Beobachtungen möchte ich hier einige
Aspekte unseres Besuchs nennen:
Verkehr: Über die vollen und holprigen Straßen der Stadt sind wir rund eine halbe Stunde
unterwegs. Autos und Motorräder fahren überall. Feste Regeln scheint es bei diesem
Verkehr nicht zu geben. Ständig wird gehupt und gebremst. Zwischen den Autos laufen
Menschen über die Straße und werden wie durch ein Wunder nicht überfahren. Viele der
Fahrzeuge sind reparaturbedürftig. Manchmal fehlen die Scheiben, ein andermal die
Stoßstangen. Viele Autos stoßen giftig riechende Abgaswolken aus. Besonders auffällig sind
die dreirädrigen Motor- Rikschas, deren Fahrer sich tollkühn durch den Verkehr schlängeln.
Essen: Häufig wurden wir von indischen Christen zu einem guten Abendessen eingeladen.
Gereicht wurden zumeist Reis, Chapati, eine Art Pfannkuchen bzw. dünnes Fladenbrot, und
verschieden Formen Curry, wobei hier nicht das Gewürz gemeint ist, sondern Fleisch oder
Gemüse, in einer scharfen Soße. Daneben gibt es noch etwas Dal, ein Linsenbrei aus gelben,
manchmal auch schwarzen Linsen. Chapati ist neben Reis das National- und Alltagsgericht.
Für viele Inder gibt es lebenslang kaum etwas anderes. Zum Curry wird gewöhnlich auch
etwas Joghurt zur Dämpfung scharfer Beilagen serviert. Alles schmeckt sehr gut und scharf,
gelegentlich können wir zwischen fünf Gemüse- und Fleisch- Zubereitungen auswählen. Das
Fleisch ist meist ziemlich zäh und voller Knorpel und kleinen Knochen. Anderes Fleisch aber
ist unbezahlbar für den normalen Inder.
Gottesdienst: Während wir die wenigen Schritte zur Gemeinde gehen, wird da bereits
gesungen. Die letzten Gottesdienstbesucher kommen aber erst eine halbe Stunde später.
Vor der Tür ziehen wir die Schuhe aus. Es ist etwa 30° C, Türen und Fenster sind offen, an der
Decke drehen sich mehrere Ventilatoren. Sie sind von zahlreichen bunten Girlanden
umgeben, die über die gesamte Decke gespannt sind. Erleuchtet wird der Raum durch
zahlreiche bloße Leuchtstoffrohren. Nach und nach kommen etwa hundert Personen. Sie
sitzen auf hölzernen Kirchenbanken, Männer und Frauen fein säuberlich auf zwei
verschiedenen Seiten der Kapelle. Während die Frauen sich mit farbenprächtigen Saris
herausgeputzt haben, tragen die meisten Männer lediglich Jeans und Hemden. Nur wir
haben die für Indien typische Pastorenkleidung: Anzug, Hemd und Krawatte. Wir nehmen
auf der Bühne hinter der Kanzel Platz. Während des Vorprogramms stehen wir immer
wieder auf und setzen uns, warum verstehe ich nicht immer, weil hier fast nur in der
einheimischen Lokalsprache geredet wird. Unter anderem wird für einige Gemeindeglieder
gebetet so für ein junges Ehepaar die ihr erstes Kind erwartet haben. Gestern hatte die Frau
eine Fehlgeburt. Medizinische Hilfe ist hier in Indien Glückssache, nicht nur wegen der sehr
unterschiedlichen Krankenhäuser. Dann gibt es im Gottesdienst eine Kindersegnung. Die
Eltern kommen nach vorne und versprechen, das Kind im Glauben zu erziehen. Während
sich die ganze Gemeinde erhebt, nimmt der Pastor das Kind auf den Arm, das dadurch
anfängt zu schreien. Dann betet er für das Kleine. Sobald es wieder in den Armen der Mutter
ist, beruhigt es sich sofort. Später singt eine Frau ein längeres Lied in der einheimischen
Sprache. Bei der nun folgenden Zeremonie muss ich erst genau hinsehen, dann begreife ich,
was geschieht. Auf einem Tisch vor der Kanzel stehen zwei kleine, mit goldenem Papier
beklebte Kisten. Während eines Lieds steht die gesamte Gemeinde auf. Männer und Frauen
gehen in einer Reihe nacheinander zu einer der Kisten und stecken ihre Geldspende in einen
Schlitz, der sich oben in der Kiste befindet. Damit nicht alle sehen was der andere gegeben
hat, decken sie den Geldschein mit der Hand ab. Geldmünzen höre ich nicht in die
Spendenbüchse fallen. Vielleicht fühlen sich manche stärker motiviert etwas zu geben, wenn
sie nach vorne an die Kanzel kommen müssen. Schließlich predigt Alexander in Englisch und
wird dann in die lokale Sprache übersetzt. Ihm geht es um die Notwendigkeit der Bekehrung
und um die Gewissheit des Gläubigen einmal bei Gott in der Ewigkeit zu sein. Einer der
einheimischen Pastoren ruft begleitet von Musik alle diejenigen auf, nach vorne zu kommen,
die nicht sicher sagen können, dass sie Vergebung ihrer Schuld haben. Drei Männer kommen
und wollen sich bekehren. Erst spricht einer der Ältesten mit ihnen, dann beten wir alle für
sie. Nachdem der Gottesdienst vorbei ist, unterhalten wir uns noch mit einigen Besuchern,
überwiegend mit Männern, weil es in dieser Kultur irritierend oder sogar unmoralisch
angesehen wird, wenn wir uns direkt an eine Frau wenden. Vor der Gemeinde sitzen
zahlreiche zum Teil verkrüppelte Bettler. Wie man mir später erzählt komme die regelmäßig
zum Gottesdienst. Weil sie Hindus sind, gehen sie allerdings nicht in den Gemeinderaum.
Deshalb setzt sich die Frau des Pastors zu ihnen und erklärt ihnen die Predigt. Bevor wir
gehen, bekommen sie diesmal noch ein paar Rupien von Alexander.
Betrügereien: Schon zahlreiche indische Christen haben wir zu David Watson befragt, der in
Deutschland und anderswo werbend damit auftritt, er habe im Norden des Landes 40 000
Gemeinden gegründet (rein rechnerisch müsste er bei einer Gemeindegründung pro Tag
über 100 Jahre arbeiten). Die meisten Christen hier haben noch nie von ihm gehört, einige
wenige kommt der Name vage bekannt vor. Doch haben wir bisher weder jemanden aus
einem der vorgeblich zahlreichen Gemeinden getroffen, noch jemanden, der uns diese
Angaben auch nur annähernd bestätigen konnte. Bei den verhältnismäßig wenig Christen in
Indien würde eine solch große Bewegung unweigerlich bekannt werden. Doch niemand
kennt sie. Alles spricht dafür, dass diese geistlichen Heldentaten wohl maßlos übertrieben
oder sogar gänzlich frei erfunden sind. Wesentlich kleinere Gruppen von einheimischen
Christen sind auch in anderen Landesteilen durchaus zu finden. Würde eine solch große
Gruppe von Gemeinden existieren, könnte man diese kaum dermaßen gut verstecken, dass
selbst landesweit umherreisende Prediger nichts davon mitbekommen. Wahrscheinlich
handelt es sich bei den zehntausenden in Indien durch Watson gegründeten Gemeinden
wohl um ein Phantom.
Wir hören auch noch von anderen zwielichtigen Aktionen. Ein amerikanischer Missionar
filmte eine regelmäßig stattfindende hinduistische Zeremonie, bei der hunderttausende
Inder früh Morgens im Ganges untertauchen, weil sie meinen, der Gott des Flusses würde sie
damit von allen Sünden reinigen. Dieses Video zeigte der Prediger zuhause in den USA und
gab es als Bericht einer ganz besonderen Erweckung aus. Hunderttausende hätten sich hier
in einer Massentaufe zu Jesus Christus bekannt. Da die meisten Amerikaner keine der
indischen Sprachen beherrschen, war kaum Gefahr aufzufliegen. Und weil der
selbsternannte Erweckungsprediger sehr fromm und überzeugend reden konnte, sammelte
er hunderttausende Dollar von amerikanischen Christen für die neubekehrten Inder, die
allerdings nicht von ihrem Religionswechsel wussten.
Vorbilder: Wie wir von allen Seiten hören, soll der indische Erweckungsprediger Bakht Singh
ein absolut integrer Mann gewesen sein, was in einem so von Korruption geprägten Land
umso mehr ins Gewicht fallt. Eines Tages sollen die Finanzbehörden des Bundesstaates auf
Bakht Sing aufmerksam geworden seien, weil seine Gemeinde in Hyderabad jeden Sonntag
Essen für rund 10.000 Menschen ausgab. Man fragte sich, ob das dafür verwendete Geld aus
illegalen Quellen vielleicht von ausländischen Konzernen stammt. In diesem heiklen Fall
nahm sich der regionale Premierminister der Sache an und ließ sich überraschend bei Singh
melden. Der Evangelist ließ den hohen Politiker im Wohnzimmer warten, bis er seine
gewohnte Gebetszeit beendet hatte. Die Tür seines Gebetszimmers wurde bewacht, sodass
nichts Unrechtes geschehen konnte. Dann bedrängte ihn der Minister, doch endlich
zuzugeben, wer der geheimnisvolle Geldgeber für solche soziale Geschenke sei und wo er
das illegale Geld versteckt habe. Bakht Singh übergab dem Mann die Schlüssel des ganzen
Hauses. Eine gründliche Durchsuchung ergab rein Garnichts. Dann führte der Prediger den
Politiker in seinen Gebetsraum, auf dessen Boden man vom vielen Beten die Abdrücke seiner
Knie sehen konnte. Beeindruckt verließ der Mann das Haus. Zum Abschied warnte Bakht
Singh den Minister, innerhalb der nächsten Woche würde seine Regierung zurücktreten
müssen. Erstaunlicherweise kam es genau wie vorhergesagt.
Allen, die noch mehr über das Leben und Denken der Inder - insbesondere der hier lebenden
Christen - erfahren wollen, verweise ich gerne auf mein in zwei Wochen erscheinendes Buch
über unsere Erlebnisse und Begegnungen: Michael Kotsch: Meine Reise nach Indien. Es wird
vom Lichtzeichen Verlag / Lage herausgegeben und ist bei mir für 5 EUR zu bekommen. (110
Seiten, aktuelle Informationen, zahlreiche Abbildungen)