(1. bis 21. Okt. 1999)
„Ich wünsche mir in der Nachfolge Jesu
ein Leben ohne Kompromisse und Halbheiten.“
Das Mädchen hatte in seiner Bibel Joh. 12,24-25
besonders angestrichen. „Wenn das Weizenkorn
nicht in die Erde fällt und erstirbt, so
bleibt`s allein; wenn es aber erstirbt, so bringt
es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, der wird`s
verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt
hasset, der wird`s erhalten zum ewigen Leben.“
Dann kam an diesem berüchtigten 20. April
(Hitlers Geburtstag) die Frage des schwarzgekleideten
Trenchcoat-Killers mit vorgehaltener Pistole,
ob sie an Gott glaube. Ihre Antwort lautete Ja,
wohl wissend, daß dies ihr Todesurteil bedeutete.
Dann wurde Cassie Bernall ins Gesicht geschossen
und so getötet.
Dieses Massaker an der Highschool in Littleton
Colorado hatte weltweit für Aufsehen und
Schlagzeilen gesorgt. Noch ergreifender wurden
die Begleitumstände, als sich herausstellte,
daß Cassie noch wenige Stunden vor ihrer
Ermordung in ihr Tagebuch schrieb, wie sie bereit
sei, für ihren Herrn Jesus zu sterben. Hinter
all den schrecklichen Ereignissen stand offensichtlich
die souveräne Hand Gottes. So hatte sie auch
noch zwei Tage vor ihrer Ermordung ihr Zeugnis
auf Video aufgenommen, ohne zu ahnen, welche Auswirkungen
diese Aufzeichnung haben sollte.
Warum erwähne ich dies alles? Wurde nicht
schon genug darüber, jedenfalls in den USA,
berichtet? Meine Reise in die Vereinigten Staaten
war in erster Linie wegen einer Einladung zustande
gekommen, am renommierten Moody Bible Institute
in Chicago Vorträge in verschiedenen Klassen
zu halten. Die Vorträge umspannten solche
Themen wie „persönliche Evangelisation“,
„moderne religiöse Strömungen“
und „Arten der Evangelisation im Zusammenhang
mit der Gemeinde vor Ort“. Gerade in dieser
ersten Woche aber auch danach durfte ich in besonderer
Weise die gnädige und leitende Hand des Herrn
sehen, manchmal in einer Weise, daß ich
über Gottes Führungen nur staunen konnte.
Bei dieser Gelegenheit möchte allen danken,
die an diese erste Woche besonders im Gebet gedacht
haben. Wie sich manchmal die einzelnen Teile,
bald wie bei einem unsichtbaren Puzzlespiel zusammenfügten,
hat für die Wahrnehmung des Glaubens für
mich keine andere Erklärung, als die Erhörung
der Gebete vieler.
Am Mittwoch den 6. Oktober war es nun, daß
bei der Andachtsstunde, die für alle ca.
1400 Studenten vom Moody Bible Institute Pflicht
ist, David McPherson, der Jugendpastor von Littleton,
zu Besuch war. Es wurden Dias und Ausschnitte
von Cassies Video gezeigt und man sah ein hübsches
Mädchen, deren Zeugnis mächtig im Raum
stand. Zuvor war sie in schwerste Hexerei verstrickt
gewesen und ihr Fall schien hoffnungslos. Die
Jugendgruppe, der sie angehört hatte, gab
jedoch nicht auf, für sie zu beten und das
Unglaubliche geschah: Cassie übergab ihr
Leben Jesus Christus. Sie wurde bald danach als
die radikale Evangelistin bezeichnet. Mehr als
jede andere wußte sie, was es heißt,
in den Krallen Satans gefangen zu sein. Ihr Leben
war erfüllt von dem Wunsch, Menschen für
den wahrhaftigen Erlöser zu gewinnen.
Als die Schreckensnachricht von dem Massaker
die Nation erreichte, sandte Bill Clinton 100
speziell ausgebildete Psychologen und Psychiater
nach Littleton, die nun versuchen sollten, den
überlebenden Schülern und Augenzeugen
dieser Horrorszenen, Trost und Beistand zu vermitteln.
Etliche Teenager mußten ja mit ansehen,
wie ihre Freunde und Schulkollegen buchstäblich
hingerichtet wurden. Daß so etwas Schock
und Trauma hinterläßt, braucht nicht
sonderlich erwähnt zu werden. Diese „psychologisierte
Spezialtruppe“ nun versammelte sich im Kino
der Stadt. Doch kein einziger Schüler kam,
um bei ihnen Hilfe zu suchen. Sie waren alle in
der Kirche.
Warum mußte ein blühendes Menschenskind
in so jungen Jahren sterben? Bemerkenswert war,
wie der Jugendpastor darauf hinwies, daß
Cassie, selbst wenn sie noch 60 Jahre gelebt hätte,
nie so viele Menschen erreicht hätte, wie
durch diesen einfachen Akt des Gehorsams gegenüber
dem lebendigen Gott.
Niemals war der Name Jesu in den öffentlichen
Nachrichtensendern öfters erwähnt worden.
CNN, NTV, Larry King Live und viele andere Sender
berichteten fast fortlaufend über dieses
Ereignis. Bei der Beerdigung wurde ganz klar das
Evangelium verkündet. CNN teilte mit, daß
es in seiner Geschichte noch nie eine so große
Einschaltquote hatte, wie bei dieser Beerdigung.
Auch der Golf- und der Balkankrieg hatten nicht
so viel Interesse ausgelöst. Die ganze Nation,
so meinte David McPherson, hörte und hört
das Evangelium.
Man schätzt, daß durch dieses Ereignis
Tausende zum Glauben gekommen sind. Man wird erinnert
an das berühmte Zitat des Kirchenvaters Tertullian:
„Das Blut der Märtyrer ist der Same
der Kirche.“ Über viele Menschen kam
eine Furcht Gottes und dies ist nun das echte
Kennzeichen eines erwecklichen Aufbruchs. Die
Studenten wurden klar aufgefordert, ihren Herrn
nicht zu verleugnen und ein Ja zu Jesus zu haben,
egal welche Konsequenzen dies haben könnte.
Es war mein Eindruck, daß die jungen Studenten
bewegt und angesprochen waren. Es war ein Zeugnis,
das zu Herzen ging. Man fand sich jedenfalls bei
dieser Andacht viel eher in den Spuren des Neuen
Testaments als bei manch einer in unseren Tagen
üblichen „Lobpreis und Anbetungsstunde“,
die durch ihre musikalische Steigerung und seelische
Beglückung eher an geistliche Selbstbefriedigung
denn an wirkliche Anbetung Gottes erinnert. Auf
jeden Fall unterschied sich diese Botschaft wohltuend
von dem, was sonst manchmal dieser Wohlfühlgeneration
als Evangelium besonders von Amerikas Fernsehevangelisten
im sogenannten „Religious Channel“
angeboten wird.
Besonders schlimm war in diesem Zusammenhang
die Hour of Power (Stunde der Kraft) von Robert
Schuller. Mike McDuffee, Lehrer am Moody Bible
Institute und mein Gastgeber, und ich hatten das
zweifelhafte Vergnügen, noch Schullers Hour
of Power anzuschauen. Es war sehr aufschlußreich
oder eigentlich erschütternd. Der Name Jesus
kam nie vor, das Wort positiv dafür aber
um so mehr. Bemerkenswert war auch, wie das Wort
Gottes abgeändert wurde. Röm. 10,9 wurde
in dieser Sendung vom 3. Okt. 99 auf „If
you confess and believe you will be saved“,
(wer bekennt und glaubt, der wird gerettet) reduziert.
Wie mein Gastgeber meinte, hat er das Evangelium
aus diesem Abschnitt rausgenommen und eine schöne
Worthülle zurückgelassen, in der der
Begriff Sünde und der entscheidende Name
Jesus nicht mehr vorkamen. Dies ist auch kein
Zufall, denn dies ist die Art Evangelium, die
Amerikas populärster Fernsehprediger verkündigt.
Er las stolz vor, wie ihm ein Hörer seiner
Botschaft aus Nazareth schrieb, wie sein Glaube
in wunderbarer Weise an sich selbst erneuert wurde
(you have wonderfully renewed the faith in myself).
Schuller merkte gar nicht, wie dies eigentlich
ihn als falschen Prediger entlarvte. Die wahre
Verkündigung sollte zum Glauben an Jesus,
nicht zum Glauben an sich selbst führen.
Das Thema der Botschaft war „Freude im Leben“
(Joy in Life) und „die Kraft des Lächelns“
(the Power of a smile). Er berichtete wie Freude
Endorphine ausschüttet und ganz neue Energien
freisetzt.
Es ist eine Botschaft, die sich von der biblischen
so unterscheidet wie der Tag von der Nacht. Es
handelt sich um ein anthropozentrisches, auf die
Wünsche des Menschen zugeschnittenes Evangelium.
Der Anspruch Gottes war so gut wie gar nicht zu
erkennen. Wichtig ist, daß man sich positiv
fühlt und Freude ausstrahlt. Über die
Kraft des Lächelns wurden eindrückliche
Zeugnisse abgelegt. So bewirkt der Glaube an Gott
diese vorteilhafte Wertschätzung und eine
unerschöpfliche Energie zum Positiven. New
Age läßt grüßen.
Der Kommentar meines Gastgebers: „Ich habe
ihn mehrmals gesehen, jedesmal war es schlimmer.“
Dabei konnte man in Deutschland vernehmen, Bob
Schuller habe sich im Gegensatz zu früher
geändert und er predige nun ein klares Evangelium.
Rückfragen bei einigen gut informierten Geschwistern
bzw. Apologeten bestätigten jedoch, wie man
nie etwas von einem Widerruf seitens dieses Apostels
des guten Selbstwertgefühls vernommen hat.
Wie man behaupten kann, dieser Mann verkündige
ein biblisches Evangelium, wie es jetzt anläßlich
der aktuellen Debatte um Bob Schuller erklärt
wurde, bleibt rätselhaft. Es ist vielmehr
ein Trauerspiel, wenn gegenwärtig seitens
sogenannter Evangelikaler versucht wird, uns mit
dieser „Stunde der Kraft“ auch im
deutschen Fernsehen zu beglücken. Es ist
aber auch ein bezeichnender Gradmesser dafür,
wie sehr die Zeitgeistvernebelung auf breiter
Front auch das christliche Lager erfaßt
hat. Allerdings wäre es eher bemerkenswert,
wenn in unserer Zeit, in der fast alle Irrlehren
blühen und gefördert werden, Bob Schuller
in diesem Kaleidoskop der Verwirrung nicht auftauchen
sollte.
Ein ähnlicher geistlicher „Tiefschlag“
war für mich ein Artikel von dem bekannten
Missiologen Ralph Winter „The Kingdom Strikes
Back“ („Das Reich Gottes schlägt
zurück“, Pasadena, 1999). Darin fanden
sich Aussagen wie, „Karl der Große
war ein hingegebener und krafterfüllter Christ“
(„devoutly and vigorously Christian“).
Es hätte heißen müssen, hingegebener
Katholik. Natürlich liest man keine Silbe
davon, wie bei der „Bekehrung“ der
Sachsen die Elbe rot gefärbt war von dem
Blut aller, die nach der „Taufe“ gleich
enthauptet wurden. Keiner hat so die weltliche
Rolle und Macht des Papsttums untermauert und
gefördert wie Karl der Große. Allerdings
ist er tatsächlich für dieses sichtbare
Reich der triumphalistischen Kirche verantwortlich,
deren Erscheinungsbild Ralph Winter ständig
mit der wahren Gemeinde des Herrn verwechselt.
Insofern ist ein weiterer „Höhepunkt“
in diesem Artikel die Aussage, „Innozenz
III habe insgesamt seine Macht zum Guten eingesetzt.“
Unter diesem machtbesessenen Papst wurden die
Waldenser gnadenlos bekämpft und die Katharer
und Albingenser so gut wie ausgerottet. Unter
seiner Herrschaft wurde das 4. Lateran-Konzil
1215 abgehalten, wo die Transsubstantiation als
Dogma erklärt wurde. Auf diesem Konzil wurde
auch die Inquisition etabliert. Somit zu sagen,
die Regierung dieses Papstes sei insgesamt positiv
zu bewerten, ist mit der Aussage vergleichbar,
der Nationalsozialismus und Hitler haben viel
Gutes bewirkt. Dieser Artikel, erschienen in der
renommierten William Carey Library, hätte
genauso gut von einem Jesuiten geschrieben sein
können. Unter der Überschrift „Evangelikale
Missiologie“ läuft in Wirklichkeit
eine kaum getarnte Gegenreformation.
Der Katholizismus wird als „Catholic variety
of Christianity“ (Katholische Variante des
Christentums) bezeichnet. Das entspricht genau
der Vorstellung der postmodernen Generation. Klare
Abgrenzungen sind nicht mehr besonders gefragt.
Insofern entspricht dieser Artikel dem Empfinden
unserer Tage und wenn er tatsächlich als
Pflichtlektüre für die evangelikalen
Missionsfakultäten gilt, wie mein Gastgeber
in Chicago meinte, dann zeigt sich damit nur,
daß auch diese Institutionen, jedenfalls
zum Teil, vom ökumenischen Zeitgeist erfaßt
worden sind.
Die Aussage von Dr. Martin Lloyd-Jones, „laßt
mich euch ernstlich warnen; indem ihr euch über
diese Annäherungen Roms freut, verachtet
ihr das Blut der Märtyrer“, ist offensichtlich
längst überholt und von einem neuen
Evangelikalismus verdrängt worden. Als er
1981 auf dem Sterbelager gefragt wurde, was er
von den beiden letzten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts
erwarte, sagte Martin Lloyd-Jones: „Ich
sehe überall nur Zusammenbrüche“.
Auch diese Feststellung ist von den nachfolgenden
Ereignissen, so muß es leider gesagt werden,
sehr eindrücklich bestätigt worden.
Wäre hätte damals geahnt, daß
eine Zeit kommen wird, in der Hetero- und Homosexualität
gleichgestellt werden sollen.
Es beleuchtet dies allerdings aufschlußreich
die Entwicklung im evangelikalen Lager. Die Öffnung
in Richtung Ökumene und Katholizismus wird
immer umfassender. Besonders Chuck Colson hat
sich zu einem treibenden Faktor in Richtung Umarmung
der katholischen Kirche entwickelt. Die Tatsache,
daß solche Artikel von Leuten verfaßt
werden, die als die intellektuelle Elite gelten,
jedenfalls als „Wissenschaftler“,
die als Experten ihrer Zunft angesehen werden,
läßt erahnen, wie groß die Verwirrung
und die Verführung geworden ist.
Doch davon abgesehen, zeigte sich Amerika von
seiner besten Seite. Da war zunächst die
Liebe und Gastfreundschaft und spontane Herzlichkeit
der Geschwister. Auch das Wetter verlief fast
wie im Bilderbuch. Die Größe und Weite
des Landes wurde uns erneut bewußt, als
meine Frau und ich mit einem Mietauto an einem
Tag gleich 800 Meilen von Chicago nach Charlotte
fuhren, um noch einen Besuch bei unserer ehemaligen
Pflegetochter Julie Oliff und ihrer Familie machen
zu können. Das Wiedersehen und die Gemeinschaft
war herzlich und wie so oft bei solchen Gelegenheiten,
verflog die Zeit viel zu schnell. Dann ging es
von dort, ebenfalls wiederum eine riesige Strecke,
Richtung Buffalo im Bundesstaat New York. Ganz
in der Nähe sind die berühmten Niagara
Fälle. Auf Grand Island, der größten
Flußinsel der Welt, hatte man mir die Möglichkeit
für einen Dienst in einer Baptistengemeinde,
die ca. 600 Besucher hat, eingeräumt.
Ich hatte ja schon eingangs erwähnt, wie
viele Führungen und Weichenstellungen wir
erfahren durften, in denen ich nur die treue Hand
Gottes als Antwort auf Gebet sehen konnte. So
stellte sich beispielsweise heraus, daß
in dem Gebäude der Baptistengemeinde in Chicago,
der mein Gastgeber angehört, sich auch Geschwister,
die aus Rußland ausgewandert sind, versammeln.
Der Pastor dieser russischen Baptisten nun kannte
mich von Estland her und war sehr erfreut, mich
wiederzusehen. Spontan bot er mir an, am Sonntag,
es war der 10. Oktober, die Predigt zu halten.
In dieser Hinsicht ließe sich noch manches
Beispiel anführen, wie sich viele unerwartete
Türen auftaten.
Auch war das Echo auf die Vorträge im Moody
Bible Institute so positiv, daß es durchaus
möglich ist, daß nochmals eine Einladung
für weitere Vorträge ausgesprochen wird.
Wie meine Antwort dann ausfällt, brauche
ich nicht sonderlich zu erwähnen. Falls der
Herr verzieht, war dies nicht der letzte Besuch
in diesem riesigen Land, auch wenn er dann in
einem neuen „Millennium" stattfindet.