(Bericht aus „ethos“)
In den Gesichtern stand Angst ebenso wie Ehrfurcht
geschrieben. Ergriffenheit und Furcht machten
sich breit. Ein Mann neben mir hatte Tränen
in den Augen und viele begannen spontan zu beten.
In Hilflosigkeit faßte man sich gegenseitig
an, um Halt zu suchen bei einem Ereignis, das
einem existentiell fast jeden Halt nimmt. Schweine
und Hunde rasten quietschend bzw. bellend in panischer
Furcht los. Eine lähmende Hilflosigkeit und
beginnendes Entsetzen senkte sich auf die wachsende
Menschenmenge in den Straßen. Schrecken
lag buchstäblich in der Luft. Das Bhuj-Erdbeben,
so benannt, weil das Epizentrum nahe bei dieser
Stadt war, hatte am Freitag den 26. Januar 2001
um 8.50 Uhr Ortszeit die Millionenstadt Ahmedabad
getroffen.
Johnny Desai, der mich schon 1999 bat, doch seinen
Schwager Madhu Christian in Gujarat zu besuchen,
und ich saßen beim Frühstück,
als plötzlich der Boden unter unseren Füßen
zu vibrieren begann. Mir war sofort klar, daß
dies ein Erdbeben sein mußte. Wie ich später
eher zu meiner Überraschung erfuhr, war es
auch für die meisten meiner christlichen
Freunde dort die erste Erfahrung mit diesem elementaren
Naturereignis. „That’s an earthquake“
rief Johnny und sprang auf, um aus dem Haus Richtung
Straße ins Freie zu laufen. Ich folgte ihm
und nahm mit distanzierter Verwunderung zur Kenntnis,
wie immer mehr Menschen auf die Straße eilten
und Angst- und Schreckensrufe zu vernehmen waren.
Zwei Minuten lang schüttelte die Erde und
das einstöckige Haus meines Gastgebers wackelte
wie ein Segelschiff bei stärkerem Wind.
Die ganze Zeit empfand ich eher Interesse, um
nicht zu sagen Neugierde, als Furcht. Nur als
mir bewußt wurde, daß sich Catherine
im ersten Stock befand, erfaßte mich Sorge.
Laut rief ich, sie solle doch herauskommen, es
sei ein Erbeben. Catherine lief die Treppen herunter,
die bedenklich schwankten und gesellte sich zu
uns ins Freie.
Fast ebenso schlagartig, wie es begonnen hatte,
war es dann vorbei. Das Rütteln hörte
auf und ich meinte zunächst, das Ganze sei
nicht so schlimm. Tatsächlich war in diesem
Viertel von Ahmedabad kaum etwas passiert. Nur
ein paar Gebäude zeigten Risse. Doch es stellte
sich bald heraus, daß mein Eindruck eine
völlige Fehleinschätzung war. Bald sollte
in den Nachrichten dieses Erdbeben der „Killer
Quake“ genannt werden. Immer mehr Schreckensmeldungen
trafen ein und die Zahl der Toten wurde ständig
nach oben korrigiert. Mit 20 000 Tote, hieß
es, sei zu rechnen und auch das sind nur vorläufige
Zahlen. In den Nachrichten vom 30. Januar sprach
man sogar von Hunderttausend, die unter den Trümmern
verschüttet sind. Mindestens drei Städte,
nämlich Buhj, Bhachau und Anjar wurden praktisch
ausradiert. 6,9 soll die Stärke auf der Richterskala
gewesen sein und auch dies wurde später auf
7,9 korrigiert. In Ahmedabad allein, obwohl ca.
450 km vom Epizentrum des Bebens entfernt, gab
es ca. 750 Tote. Doch auch hier schwanken die
Angaben und es ist schwer, etwas Verläßliches
zu erfahren.
Dann herrschte die Angst vor Nachbeben und alle
möglichen Gerüchte machten sich breit.
Die Polizei fuhr durch die Straßen und warnte
vor falscher Panikmache. Tausende übernachteten
im Freien, weil besonders im Westteil Ahmedabads
etliche Hochhäuser beschädigt worden
und ca. 100 Gebäude eingestürzt waren.
Dann gab es am Sonntag den 28. um 6,30 Uhr tatsächlich
ein Nachbeben der Stärke 5,9. Catherine,
die noch im Bett lag, merkte es noch deutlicher,
da die metallenen Bettgestelle deutlich zu scheppern
anfingen. Ich selber beobachtete nur, wie die
Türen eines eingebauten Schranks zu vibrieren
begannen und der Ventilator schwankte. Wiederum
liefen einige Leute auf die Straße und laute
Rufe breiteten sich aus. Doch fast ebenso schnell
beruhigte sich das Szenario. Jedenfalls sah ich
mich nicht motiviert, das Haus zu verlassen.
In diesem östlichen Teil Ahmdebads, wo sehr
viele Christen wohnen, war tatsächlich so
wenig passiert, daß sogar etliche Hindus
behaupteten: „Ihr Gott hat sie beschützt“.
Inzwischen wird von immer mehr Fällen berichtet,
wie Gläubige wunderbar bewahrt worden sind.
Ich war ziemlich erstaunt, dies aus dem Mund von
Madhu Christian zu vernehmen. Er leitet eine gesegnete
Radioarbeit, die in neun Sprachen im Bundesstaat
Gujarat Gottes Wort ausstrahlt. Madhu war es auch,
der mich letztes Jahr gebeten hatte, doch wiederzukommen.
Er werde ein Seminar für christliche Studenten
organisieren.
Auf einen Professor Enoch geht in Indien die
UESI (Union of Evangelical Students of India,
gegründet 1954) zurück, die viel Segen
bewirkt hat. In diesem Rahmen nun trafen wir uns
in Mahemadabad auf dem Grundstück der Missionary-Alliance,
ca. 30km von Ahmedabad entfernt. Es waren ca.
60 Studenten gekommen. Ich sollte besonders das
Thema „Zeichen der Zeit“ und die damit
verbundenen Ereignisse aufgreifen. Nun spricht
der Herr Jesus in seiner Wiederkunftsrede gerade
auch von Erdbeben (Mt. 24,7) und insofern mangelte
es nicht an Aktualität. War ich 1999 wegen
der Ermordung des Missionars Graham Staines immer
wieder an Mt. 24 Vers 9 erinnert worden, so war
es diesmal der siebte Vers von Matthäus 24,
der sich uns aufdrängte.
Freitag der 26. Januar, der Tag dieses schweren
Erdbebens also, war noch dazu in Indien ein besonderer
Feiertag, der sogenannte „Republic Day“.
Dieser Tag wird gewöhnlich mit Paraden und
großen Feierlichkeiten zelebriert. Das Fernsehen
zeigte dementsprechend auch an diesem Tag nach
den Meldungen über das Erdbeben Bilder von
Truppenparaden, die martialisch aufmarschierten.
Modernste Waffen sah man eindrücklich die
Prachtstraßen Delhis entlangrollen. Doch
schon am nächsten Tag bestand der Hauptteil
der Nachrichten aus den Ereignissen um den Killer
Quake. Tatsächlich passierte es in einigen
Fällen, daß während des Hissens
der Fahne oder beim Paradieren Tote zu beklagen
waren. Die World News erwähnten noch die
Gespräche zwischen Israel und Arafat. Deutschland
mit seiner Rinder- und Schweine-Hysterie war zum
Glück keine Silbe wert.
Die Auswirkungen des Bebens sind mannigfach.
So stand in der „The Sundy Times“
vom 4. Febr. 2001 unter der Überschrift „Believers’
ranks skyrocket“, wie die Gottesdienste
und religiösen Zeremonien in allen Religionen
zugenommen haben. Wörtlich heißt es:
„Die einst Ungläubigen blicken heute
zu ihm als ihren einzigen Retter auf“.
Jedenfalls sind die Tempel, Moscheen und andere
Orte mit Menschenmengen überlaufen. Anbetung
steht auf der Prioritätenliste an oberster
Stelle. Selten hat der Glaube solch eine spektakuläre
Wiederkehr erfahren. „Die Leute haben den
Zorn Gottes gesehen. Sie beten um Gnade und bereuen
ihre Sünden“, sagt Devdatt Gwalior.
Die Frage ist nur, wer damit gemeint ist? So heißt
es ein paar Zeilen weiter in dem Artikel: „Ungefähr
50 Frauen im Bahucharaji Tempel vom Bhola Park
chanten ‚Ram dhoon’. „Die Frauen
beten, um Mutter Erde zu besänftigen, und
flehen sie an, sie vor ihrem Zorn zu bewahren’.“
Andere verteilen Flugblätter mit besonderen
Mantras, um Mutter Erde zu beschwichtigen.“
Indem diese Mahamantras gesungen werden, soll
die Mutter Erde bedrängt werden, alles Leben
zu beschützen. Die Moslems erleben eine ähnliche
„Erweckung“. Ihr Moscheen sind am
Freitag überlaufen.
Die Dorfbewohner jenes Gebietes, nämlich
von Dhrang bis Lodai, aus dem das Erdbeben herrührt,
sind dabei besonders eifrig, seien es nun Moslems
oder Hindus, „dharti mata“ (Mutter
Erde) zu besänftigen. Während die Männer
im Tempel beten, zünden ihre Frauen zu Hause
„diyas“ (kleine Lampen) an. Ihre moslemischen
Brüder bringen „namaz“ (Anbetung)
dar.
Natürlich hat auch die wirklich Gläubigen
dies nicht unberührt gelassen. Manches Herz
wurde neu darauf ausgerichtet, im Angesicht dieser
Vergänglichkeit, sich den ewigen Werten und
dem wahren Gott zuzuwenden. Manch lauer Christ
tat Buße über seine Schläfrigkeit
und hat sich neu Jesus geweiht.
Die Auswirkungen dieses „Killer Quakes“,
wie er nun offiziell genannt wird, nehmen immer
größere Proportionen an. So schrieb
die „Times of India“ am 5. Febr. 2001,
daß gemäß der Schätzung
der UNICEF (United Nations Children’s Fund)
ca. 2,5 Millionen Kinder in der einen oder anderen
Weise von dem Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen
worden sind. Der 26. Januar dieses Jahres ist
als „Schwarzer Freitag“, wie er nun
von den Medien genannt wird, in die Geschichte
Indiens eingegangen.
Bericht über eine wunderbare Bewahrung inmitten
des Zentrums des „Killerbebens“ in
Gujarat!
Neben mir sitzt David Benjamin Christian von
Ahmedabad. Seine Geschichte ist mehr als bemerkenswert.
In Zuge des Bhuj-Erdbebens hat sich nämlich
ein Ereignis abgespielt, das man nur schwerlich
als Zufall oder Glück bezeichnen kann. Am
26. Januar, dem Republic Day (Tag der Republik
in Indien, ein besonderer Feiertag), war David
mit 28 anderen christlichen Leitern der verschiedensten
evangelikalen Denominationen in dem Hotel „Shree
Maruti“ in Gandhidham zusammen gekommen,
und zwar von allen Teilen des indischen Bundesstaates
Gujarat. Sie wollten sich über das Kutchi
Madu-Projekt austauschen. Es handelt sich um eine
Bevölkerungsgruppe in einem Teil von Gujarat.
Es ging darum, wie man diese Menschen am effektivsten
mit dem Evangelium erreichen könnte.
Normalerweise wird das Frühstück im
Parterre eingenommen. Doch der Hotelbesitzer entschuldigte
sich für eine unerwartete Verspätung.
Deswegen ließ er das Frühstück
den Gästen in ihrem Stockwerk servieren.
Um 8.40 Uhr standen die christlichen Delegierten
Tee trinkend um das Buffet im 4. Stock des Hotels.
Auf einmal vernahmen sie ein lautes Krachen und
meinten zuerst, ein Jumbo-Jet komme im Tiefflug
auf das Hotel zu. Dann begann alles so zu beben,
daß David das Gleichgewicht verlor und den
Treppenaufgang hinabfiel. Er kam zurückgelaufen
und begann mit den anderen zu beten. „Jesus
rette uns“, war sein Gebet und das der anderen
Teilnehmer. Dann fing er mit anderen an, Gott
zu danken. Niemand der Anwesenden schrie oder
weinte.
Das Hotel war dem Epizentrum noch näher
als die Stadt Buhj, die am schwersten getroffen
und praktisch ausgelöscht wurde. Die Intensität
des Bebens nahm so zu, daß sich die Anwesenden
wegen des herumfliegenden Staubes nicht mehr sehen
konnten. Marmorkacheln und Steinplatten fielen
herab, doch niemand wurde getroffen oder verletzt.
Als Folge dieser verheerenden Erschütterung
stürzten die beiden ersten Stockwerke des
Hotels in sich zusammen und nun hätte man
erwarten Können, daß alles andere in
einem Berg von Schutt und Trümmern untergehen
müßte. Doch das Gebäude sackte
nur senkrecht hinunter und der Rest blieb stehen,
wie ein riesiger Aufzug, der etwas in die Tiefe
gefahren ist. Dies ist so unwahrscheinlich, daß
es einem schwer fällt zu glauben, der obere
Teil sei nicht umgekippt. Statt dessen blieb er
über den ersten zwei zusammengedrückten
Stockwerken etwas schräg stehen. Wären
sie, wie sonst üblich, zum Frühstück
im Parterre gewesen, hätte wahrscheinlich
keiner überlebt.
Danach stiegen alle 29. Delegierten in den ehemals
3. Stock hinunter, der nun zum Erdgeschoß
geworden war. Dort kletterte man über die
Fenster hinaus. Es dauerte noch ca. 20 Minuten,
bevor man erneut zusammenkam, um Gott für
dieses Wunder der Bewahrung zu danken. Im ganzen
Umkreis weit und breit war kein Gebäude stehen
geblieben.
Jedenfalls hat sich dieses Ereignis tief in die
Herzen und Gemüter dieser Christen eingeprägt,
die hautnah eine Erfüllung von Psalm 91 Vers
7 erfahren haben. Nach menschlichen Ermessen hätten
eigentlich alle umkommen müssen und mit einem
Schlag wären praktisch alle Christen, die
sich für einen bestimmten Bevölkerungsteil
in Indien einsetzen, getötet worden. Ganz
offensichtlich hat Gott seine beschützende
Hand über seine Kinder dort gehalten (Ps.
139,5).
Die Segensspuren William Careys
In Indien stößt man unweigerlich auf
die umfangreichen Segensspuren von William Carey.
Es ist schier unglaublich, was dieser Mann geleistet
hat. So übersetzte er die Bibel in mindestens
35 Sprachen. Ein bewegender Teil seines Dienstes
war sein Einsatz gegen die schreckliche Sitte
der Kinderopferung. Eher durch Zufall mußte
er feststellen, wie es zu den religiösen
Bräuchen der Inder gehörte, Kinder zwecks
Segen, Fruchtbarkeit oder Glück den einzelnen
Göttern bzw. Göttinnen zu opfern. Besonders
schlimm war das Fest „Sagar Puja“
an der Mündung des Ganges ins Meer, das jedes
Jahr im Januar zur Zeit des Vollmondes stattfand.
Wenn der Mond in seinem vollen Glanz leuchtete,
warteten die Mütter mit kleinen Babys auf
dem Arm auf diesen glückverheißenden
Moment. Mit dem Ruf „Ganga Ma Ki Jai“
(Sieg für die Mutter Ganges) eilten sie nach
vorne auf das Ufer zu und warfen ihre Kinder in
den Fluß hinab. Einige ertranken, andere
wurden von Krokodilen oder Haien gefressen. Für
dieses Opfer erhofften sie den Schutz, die Bewahrung
und den „Segen“ durch die Flußgöttin.
Einige glaubten auch, dadurch das Heil zu erlangen.
Sie meinten, ihre Seele würde errettet, wenn
sie ein Kind, die Frucht ihres Leibes, opferten
(Micha 6,7). Während solcher Nächte
wurden Hunderte von Kindern für ein religiöses
Ritual geopfert.
Niemand gebot diesem Morden Einhalt, denn die
Politik der britischen Empires schrieb vor, sich
nicht in die religiösen Überzeugungen
und Bräuche der Leute vor Ort einzumischen.
Alle Glaubensvorstellungen sollten als gleichwertig
gelten. Ähnliche Sätze vernimmt man
auch heute im Zuge der multireligiösen Umfunktionierung
unserer Gesellschaft. Dieses Credo der „Toleranz“
des humanistischen Sozialismus überrascht
auch nicht, denn wir haben inzwischen wiederum
gelernt, unsere Kinder zu opfern. Man nennt nur
diesmal die Abtreibung das Recht der Frau auf
Selbstverwirklichung. Nur durch diese Nichteinschränkung
sei das wahre „Glück“ der Frau
garantiert.
Carey war zutiefst erschüttert. Sein Herz
blutete für diese unwissenden Menschen und
er begann ernsthaft zu beten. Er schrieb an den
damaligen Generalgouverneur Lord Wellesley. Der
Gouverneur begann nun nachzuforschen, ob solche
Praktiken von den Hindu-Riten vorgeschrieben sind.
Carey, der die heiligen Bücher der Hindus
studiert hatte, konnte nachweisen, daß dies
nicht der Fall war. Darauf beschloß Lord
Wellesley, diesen Brauch bei Todesstrafe zu verbieten.
Im Januar des nächsten Jahres stellte er
sogar Truppen am Flußufer auf. Carey und
seine Freunde waren mit großer Dankbarkeit
erfüllt, daß während des Sagar
Puja des Jahres 1804 kein Kind mehr geopfert wurde.
Noch länger mußte Carey gegen den
schrecklichen Brauch des „Sati“, die
Witwenverbrennung, ankämpfen. Als er einmal
ein Flußufer entlangging, sah er wie eine
Gruppe von Leuten einen Leichnam zur Verbrennung
bereiteten. Dann wurde eine Frau, die Witwe des
Verstorbenen, gezwungen, sich neben dem Leichnam
auf den Holzstoß zu legen. Danach wurde
dieser Scheiterhaufen zeremoniell entzündet
und die Flammen fuhren sofort hoch. Carey konnte
durch das Feuer sehen, wie sich das bedauernswerte
Geschöpf in Schmerzen wand, als die Flammen
ihren Leib erfaßten. Die Menge, offensichtlich
unwillig, die schrecklichen Schmerzensschreie
zu vernehmen, schrie ekstatische Lobgesänge
zu ihrem Gott, während das Feuer um sich
griff.
Carey war zutiefst schockiert, die religiöse
Verzückung dieser Menschen zu sehen, die
sich um den Scheiterhaufen in Anbetungshaltung
versammelt hatten. Seine Protestschreie zeigten
keine Wirkung. Dieses Ereignis hinterließ
tiefe Spuren im Gemüt des Missionars. Mehr
denn je war er entschieden, dagegen anzukämpfen.
Einmal mußte er mit ansehen, wie gleich
drei Frauen auf dem Scheiterhaufen ihres Mannes
verbrannt wurden. Carey konnte das nicht mehr
ertragen. Seine Nachforschungen ergaben, daß
ca. zehntausend Frauen allein in Bengal auf diese
Weise jedes Jahr durch das „Sati“
umkamen. Er unterbreitete diese Informationen,
die er indischen Freunden verdankte, dem Gouverneur.
Doch Lord Wellesley war in den Ruhestand getreten
und sein Nachfolger kümmerte sich überhaupt
nicht um solche Angelegenheiten. Erst 20 Jahre
später wurde der unermüdliche Kampf
des Missionars, den er im Namen Gottes gegen eine
der unmenschlichsten Praktiken geführt hatte,
von Erfolg gekrönt. Im Jahre 1829 erließ
die englische Verwaltung ein Gesetz, das die Witwenverbrennung
untersagte.
Liebe Freunde und Beter!
Diesmal melde ich mich nach einer Reise (24.
Jan. bis 12. März 2001) in dieser eher ungewöhnlichen
Form. Als ich nämlich gestern nach nun sechs
Wochen wieder zu Hause eintraf, stellte ich fest,
daß mein Bericht über den diesjährigen
Indienbesuch so ziemlich vollständig in der
Märzausgabe der Zeitschrift „ethos“
abgedruckt worden ist. Dadurch übernehme
ich ihn diesmal gleich von dieser Zeitschrift
und füge nur noch diese Zeilen an.
Aufschlußreich war noch ein Gespräch
mit Madhu Christian, der im Rahmen der Alliance
Mission so eine gesegnete Radioarbeit von Ahmedabad
aus betreibt. Seine Betonung liegt auf Schulung
derer, die zum Glauben gekommen sind. Er hat das
tiefe Anliegen, die Bekehrten in Gottes Wort zu
gründen. Er berichtete mir, wie am Missionsfeld
vor allem die Katholiken und Pfingstler Schaden
anrichten bzw. angerichtet haben. Schaden in Blick
auf das wachsame Auge der RSS, jene fanatische
Hindu-Truppe, die jede Gelegenheit sucht, um missionarische
Tätigkeit seitens der Christen zu stören
oder zu unterbinden. Madhus Begründung: Dorfbewohner
werden vom Katholizismus angesprochen, weil ihnen
geholfen wird. So schließen sich viele aus
materiellen und sonstigen Vorteilen dieser Kirche
an. Entscheidend ist dann, daß sie zur Messe
kommen. Schulung in Gottes Wort ist nicht nötig,
denn die geistlichen Belange besorgt der Priester.
Bei den Pfingstlern wird in erster Linie von
Heilung und weniger von Bekehrung gesprochen.
Das zentrale Thema ist der Heilige Geist und eine
„Bekehrung“ geschieht durch Handauflegung
mit der Verheißung des Geistes. Statt in
Gottes Wort einzudringen, dreht man sich um die
Charismen. Den so Bekehrten wird angedroht, daß
sie den Heiligen Geist verlieren, wenn sie zu
einer anderen Gemeinde oder Denomination wechseln.
Leider dürfte Madhu nicht übertrieben
haben. So berichtete mir bei einer anderen Gelegenheit
ein Pastor in Secunderabad, was sich bei einer
„erwecklichen“ Versammlung in Andhra
Pradesh vor Jahren abgespielt hatte. Der „Erweckungsprediger“
forderte die über viertausend Besucher auf,
sich alle niederzuknien, wobei jeder seinem Gegenüber
ins Gesicht sehen sollte. Jeder mußte darauf
dem anderen die Hände auflegen. Danach wurde
erklärt, daß nun alle den heiligen
Geist haben. Ebenso wurde mit der Gabe der Heilung
verfahren. Jeder habe jetzt angeblich im Glauben
dieses Charisma empfangen und nun seien alle geheilt,
weil man sich gegenseitig nicht nur den heiligen
Geist, sondern auch die Heilung zugesprochen habe.
So „problemlos“ und „spontan“
läuft in manchen Kreisen die Ausstattung
mit dem „Geist“ und seinen angeblichen
Gaben.
Wir kamen auch auf das Kastensystem zu sprechen
und wie auch die Gläubigen nicht davor gefeit
sind, von diesen Vorstellungen, gerade wenn sie
aus einer höheren Kaste stammen, beeinflußt
zu werden. William Carey bestand darauf, daß
sich jeder Bekehrte von dem Kastenwesen lossagen
mußte. Erst wenn er bereit war, mit jemandem
von einer niederen Kaste gemeinsam zu essen, was
sozusagen der Test für eine echte Gesinnungsänderung
war, taufte Carey den Konvertiten. Madhu erzählte,
wie Donald McGavaran, der Vater der Gemeindewachstumsbewegung,
als erster propagierte, die zum Christentum Bekehrten
sollten Gemeinden gemäß ihrer Kasten
bilden, sogenannte „Kastengemeinden“.
Sie sollten also nicht versuchen, in einer Versammlung
verschiedene Kastenstufen zu integrieren. Ich
fragte Madhu, was er davon hielte? Seine Antwort:
„Kastensystem in der Gemeinde ist ein Fluch“
„Castesystem in the Church is a curse“.
Auf das gleiche Thema kam ich auch Tage danach
bei OTI zu sprechen. Die Verantwortlichen für
dieses Ausbildungsprogramm für Missionare
von IEM haben mich praktisch jedes Mal seit meinen
Besuchen in Indien zum Unterricht eingeladen.
Nun traf ich nach Jahren P.S. Thomas wieder, dem
früheren Executiv-Direktor von IEM (Indian
Evangelical Mission). Das war eine unverhoffte
Wiedersehensfreude, denn der Name dieses Bruders
steht seit vielen Jahren auf meiner „indischen“
Gebetsliste. Er erzählte mir nun, wie er
1974 zu einer Tagung nach Seoul eingeladen worden
war, wo es um das Thema Gemeindewachstum ging.
Ein Sprecher war auch Yonggi Cho, der damals begann,
berühmt zu werden. Andere Redner waren der
bekannte Anthropologe Charles Kraft und eben auch
McGavaran.
P.S. Thomas berichtete mir, wie er im Seminar
McGavaran persönlich widersprach bzw. widerstand,
als er vorschlug, Gemeinden entlang von Rassen-
und Kastenlinien zu bauen. Das würde die
Zahlen erhöhen, also Wachstum beschleunigen.
Auch solle man die Leute erst christianisieren
und danach erst zu Jüngern machen. Thomas’
Kommentar: „Diese Vorschläge verändern
den Charakter der Gemeinde und zerstören
sie. Die Gemeinde ist der integrierendste Faktor
hier auf Erden.“ Für ihn selber war
es eine besondere Freude, als er als junger südindischer
Missionar, ausgesandt von IEM, im Norden des Landes
zwei Inder zum Herrn Jesus führen durfte.
Der eine gehörte einer der höchsten,
der andere einer der niedersten Kasten an. Ihr
gemeinsames Abendmahl war für ihn ein Stück
Vorgeschmack des Himmels. Von daher empfand er
McGavarans Vorschläge, der ja als Kind von
Missionaren in Indien geboren worden war, besonders
schmerzhaft. Deswegen brachte er es auch nicht
übers Herz, einfach vornehm zu schweigen,
als diese neuen Gemeindemodelle zwecks angeblicher
„Wachstumsbeschleunigung“ vorgestellt
wurden.
Mit besonderer Sorge mußte ich feststellen,
wie Benny Hinn immer mehr Einfluß gewinnt
und bekannter wird. Dies vor allem deshalb, weil
nun TBN (Trinity Broadcasting Network), die größte
christliche Fernsehstation, seit der neuen Verkabelung
von praktisch jedem indischen Haushalt empfangen
werden kann. Sie nennen sich „Miracle Network“
und rühmen sich, daß sie mit ihren
Fernsehstationen ca. 4,1 Milliarden Menschen erreichen.
Geleitet wird TBN von Paul Crouch, der zur „Assemblies
of God“ (amerikanische Pfingstgemeinde)
gehört. Über diesen Sender werden nun
die schlimmsten Irrlehrer und Irrlehren, vor allem
die Prediger des Wohlstandsevangeliums, ausgestrahlt.
Dazwischen hört man auch Vorträge von
guten Evangelisten, die biblische Wahrheiten verkündigen
und in die Schrift hineinführen.
Paul Crouch ist Befürworter der „Glaubensbewegung“,
auch als „positives Bekennen“ bezeichnet,
deren führende Gestalt Kenneth Hagin ist.
Mit diesen Strömungen verbindet sich der
„Toronto-Segen“ ebenso wie die Lehre,
daß Jesus bei der Kreuzigung geistlich starb
und erst in der Hölle „wiedergeboren“
wurde. Doch das sind nicht die schlimmsten Irrlehren.
So schreibt der inzwischen verstorbene Walter
Martin, Amerikas bekanntester Fachmann für
Sekten: „Der Präsident von TBN, Paul
Crouch, hat diese Lehre offen vertreten und verbrachte
einmal beinahe zwei Stunden damit, mich und drei
andere Verkündiger davon zu überzeugen,
daß wir ‚kleine Götter‘
sind. Viele evangelikale Organisationen, bewußt
oder nicht, helfen ‚greulichen Wölfen‘,
solche diabolischen Irrlehren zu verbreiten“
(The Agony of Deceit, Moody Press, S. 93). Walter
Martin nennt solche Leute „Erzhäretiker“,
die praktisch der ersten bzw. klassischen Lüge
in der Geschichte der Menschheit aufgesessen sind.
TBN sieht sich natürlich als ein reich gesegnetes
Werkzeug Gottes, dazu berufen, mit Zeichen und
Wundern das Reich Jesu auszubreiten und zu bauen.
In Wirklichkeit ist dieser Sender ein Ge-richt
Gottes (1. Petr 4,17) und bereitet buchstäblich
dem Antichristen den Weg (2. Thess. 2,9).
Bewegend war für Catherine und mich das
Kennenlernen eines indischen Ehepaars, das im
Rahmen von IEM unter einem Stamm in Rajastan arbeitet.
In SAIACS (South Asia Institute of Advanced Christian
Studies) in Bangalore, wurde im Unterrichtsprogramm
ein Film über das Leben William Careys gezeigt.
Dabei war es ebenso tragisch wie bewegend mitzubekommen,
daß einer der ersten Bekehrten wegen Übertretung
der heiligen indischen Kastengebote von der fanatischen
Menge umgebracht wurde. Danach erzählte mir
die indische Missionarsfrau, wie gerade an diesem
Tag (12. Febr.) die fanatischen Hindus in den
Dörfern ein Fest veranstalten. Dabei wird
jeder Dorfbewohner aufgefordert, den Göttern
zu opfern. Nun hat es aber in diesen Landstrichen
schon etliche neubekehrte Christen. Diese stehen
vor einer ernsten Glaubensprobe, denn Weigerung
bedeutet, daß besonders die Männer
geschlagen und mißhandelt werden. Ich fragte
dann, wie diese Stammesleute auf diese Bedrohung
reagieren. „Die Gläubigen dort sind
stark“, war ihre Antwort, doch sie hatte
Tränen in den Augen.
Wie kann man diesen leidgeprüften Geschwistern
helfen? Da ist zunächst Gebet. Auch versprach
ich Madhu Christian, der ja schließlich
in dem vom Erdbeben am schwersten getroffenen
Gujarat lebt, mich um finanzielle Hilfe für
die vom Erdbeben geschädigten Glaubensgeschwister
nach meiner Heimkehr zu kümmern. Er hat einen
sehr guten Überblick über die dortige
Situation und weiß auch, wer das Geld am
dringendsten benötigt. Bei ihm sind die finanziellen
Gaben auch gut aufgehoben, denn schon als junger
Christ hat er sich bewährt und Bestechung
bzw. Unwahrhaftigkeiten, die dort leider alltäglich
sind, abgelehnt. Den Verlockungen des Geldes ist
manches Kind Gottes, gerade in diesen Ländern,
erlegen und es ist nicht weise, ungeprüft
größere Summen irgend jemanden, auch
wenn er sich wiedergeboren nennt, anzuvertrauen.
Zwar übergaben wir schon einen größeren
Geldbetrag für solche Nöte, doch ist
dies bestenfalls der „berühmte Tropfen
auf den heißen Stein.“
Erstaunt war ich, wieviel Türen sich gerade
im Rahmen von Schulungen auftaten bzw. auftun.
So fragten mich gleich mehrere verantwortliche
Leiter bzw. Lehrer an, ob ich bereit wäre,
einen Blockunterricht zu bestreiten. Wie schon
so oft im Zusammenhang mit Indien, war ich mehrmals
zutiefst dankbar über Gottes Führungen.
Ein besonderes Geschenk sind Menschen, die zum
Glauben finden, und nach evangelistischen Botschaften
haben etliche das Angebot der Errettung in Jesus
angenommen. So möchte ich wiederum allen
Betern herzlichen Dank sagen, denn die Gnade Gottes
allein ist es, daß solche Reisen bzw. Einsätze
stattfinden dürfen. Es gebe natürlich
noch manches, eigentlich vieles, zu berichten,
doch ist es mein Wunsch, besonders bei der heutigen
Datenflut, eine gewisse Seitenanzahl nicht zu
überschreiten.
Alexander Seibel