Rezension - Der Himmelsbürger

Zunächst das Positive vorweg. Der Abschnitt, wo Bruder Yuns Zeit im Gefängnis zu Myanmar geschildert wird, hat mich sehr angesprochen. Er konnte den Gefangenen dort wirklich ein Zeugnis sein und er durfte etliche von ihnen zum Herrn führen. Seine Bereitschaft zu leiden und die Schmach Christi zu ertragen, gleichzeitig aber das Evangelium zu diesen Ärmsten der Armen zu bringen, ist beeindruckend.

Dieser letzte Abschnitt des Buches liest sich eher nüchtern und man freut sich über die Menschen, die durch das Zeugnis des „Himmelsbürgers“ zum Glauben finden.

Zustimmen kann ich auch Yuns Ausführungen zur Drei-Selbst-Kirche, der vom chinesischen Staat offiziell anerkannten Kirche. Er nennt sie eine politische Organisation, die der atheistischen Regierung dient (Seite 41).

Vor mir liegt die Ausgabe des Leuchter Verlags „Der Himmelsbürger - Befreit!-“ von Haavald Slaatten, eine Koproduktion von Leuchter Edition und Literaturdienst, Aktionskomitee für verfolgte Christen, 1. erweiterte Neuauflage Januar 2003, beides pfingstliche Verlage.

Das dürfte nicht zufällig sein, denn neben all dem Positiven und Herausfordernden, das in diesem Buch zu finden ist, atmet diese Biographie über den „Himmelsbürger“ Bruder Yun, den klassischen Schwarmgeist in beeindruckender Fülle.

Das Vorwort stammt von Waldemar Sardaczuk, dessen pfingstliche Theologie sich ebenfalls nicht verleugnen läßt. Er schildert auf Seite 11, wie Bruder Yun eine Vision hatte: Er sah, dass Gott ihm eines Tages eine geistliche Erntemaschinegeben würde, mit der die Seelenernte großflächiger und schneller eingebracht werden würde als in mühseliger Kleinarbeit. Br. Yun bekam die Vision, dass er mit einer großen Erntemaschine weltweit und ausdrücklich auch im Westen das Evangelium verkündigen würde.

Dies erinnert nur allzu sehr an den derzeit großen „Mähdrescher“ Gottes und „Völkerfischer“ Reinhard Bonnke.

Bruder Yuns Berufung, wo er eine Stimme hört, erinnert an den Werdegang Samuels. Er fragt seine Eltern, ob sie ihn gerufen haben. Seine Mutter antwortete: „Nein, warum?“ Überrascht erwiderte Yun: „Aber wer hat mich dann gerufen und meinen Namen ausgesprochen? Wer hat mich berührt?“ (Seite 18).

Könnte man mit etwas Wohlwollen dem ersten Ereignis noch zustimmen, so ist letztere Manifestation, die Berührung, typisch für spiritistische Phänomene bzw. Geister.

Gleich darauf folgen große Berufungsträume oder –visionen, wobei man manchmal nicht weiß, was ist Einbildung, was ist Wirklichkeit und was sind Wahr- bzw. Wachträume. Alles allerdings sattsam bekannte Begleitphänomene von Okkultismus und Geisterglauben, der nun in China nicht gerade auf Sparflamme brannte und brennt. Es wird auch ganz offen erwähnt, wie der Aberglaube im Dorfe weit verbreitet war und So war der 16-jährige Yun bereit, die Kunst der Zauberei zu lernen (Seite 23). Sicherlich eine gute Voraussetzung für all die Spukerlebnisse, Träume und Heilungen, die dann in reicher Fülle dem guten Mann folgen.

Yuns Vater, von Krebs zerfressen schon mehr tot als lebendig, wird ganz geheilt. Dies war Yuns erste Begegnung mit der Kraft des Evangeliums (Seite 24).

Nun wollen wir hier wirklich nicht behaupten, daß Gott nicht heilen kann. Doch wer meint, Heilungen und Wunder seien die Kraft des Evangeliums, dessen wahre Kraft Seelen rettet (Röm. 1,16) und Sünden vergibt, hat wieder einmal das Sichtbare mit dem Unsichtbaren, das Vorletzte mit dem Ewigen verwechselt. So heißt es auf Seite 32: Das Feuer des Evangeliums breitete sich aus, - mit Zeichen und Wundern.

Dies ist nichts anderes als eine Neuauflage des „vollen Evangeliums“, der Gruß aus dem Totenreich (Luk. 16,30), wo der reiche Mann, ähnlich wie einst John Wimber, mit dieser „Powerevangelisation“ die Menschen zur Buße rufen möchte. Im Vergleich dazu hatten Leute wie Hudson Taylor, Charles Spurgeon, David Livingstone, William Carey usw. offensichtlich nur das „halbe“ Evangelium. Ihnen fehlten diese Kräfte.

Bewegend ist, wie Yun alles daransetzt, eine Bibel zu bekommen. Er fastet und betet und ruft immer wieder deswegen zu Gott. Dann hat er wiederum einen (Wahr)Traum, der für ihn so real ist, daß Seine Eltern, die durch Schreie und durch sein Sprechen im Schlaf sehr gestört waren, sahen, wie er etwas im Hause suchte. Da fragten sie sich, ob ihr Sohn seinen Verstand verloren habe (Seite 27).

Der gute Yun konnte einfach Traum und Wirklichkeit nicht unterscheiden, was typisch ist für mediale Eingebungen. Während Petrus, nachdem er das Gesicht von dem Tuch hatte (Apg. 10,17) noch grübelte, was es bedeuten könnte, beginnt hier unser Freund offensichtlich schon im Haus die Bibel zu suchen, von der er gerade so lebendig geträumt hatte, er werde sie durch drei Männer empfangen.

Dann erfüllt sich dieser Traum bzw. das nächtliche Gesicht haargenau. Nun, dies kennt man zur Genüge aus Wahrsagerei und Hellseherei. Ähnlich hat die Mutter von Loren Cunningham, dem Begründer von JMEM, genau Ereignisse vorausgehen, die sich dann detailgetreu erfüllt haben. Und China hat nun tatsächlich keinen Mangel an Wahrsagegeistern. Man lese einmal nach bei Watchman Nees „Der geistliche Christ“, was er dort von okkulten Phänomen gerade in diesem Reich der Mitte berichtet.

Typisch ist auch sein Gebet um den Heiligen Geist, nachdem er in der Bibel auf Apg. 1,8 stößt. Danach: Plötzlich geschah etwas. Eine unbeschreibliche Liebe und Offenbarung der Anwesenheit Gottes durchfluteten sein Wesen. Lieder, die er noch niemals gelernt hatte, sprudelten aus ihm heraus wie ein wilder Fluss (Seite 28).

Fast wortgleich lesen sich Zeugnisse beim Beginn der Pfingstbewegung. Es ist die klassische Doktrin der Geistestaufe bzw. Zweistufenlehre und der Leuchter-Verlag hat nicht zufällig dieses Buch aufgelegt. Dazu gehört auch das in unserer Zeit sattsam bekannte „Geisteslachen“, ebenfalls ein uraltes spiritistisches Phänomen. Wenn Christen verhaftet wurden, reagierten sie mit großer Freude, das sich in einem heiligen Lachen Bahn brach (Seite 33).

Ein wundersames Ereignis nach dem anderen und massenhafte Bekehrungen begleiten den Bruder Yun. Doch mehr als wundersam ist der Bericht, daß ähnlich wie Philippus in der Apostelgeschichte, auf einmal unserer chinesischer Freund mehr oder weniger entrückt wird. Als er sich auf den Rückweg machte, befand er sich plötzlich - ohne dass Zeit vergangen war – zu Hause in seinem Dorf bei seinen Eltern (Seite 31).

Man sollte sich nicht davon beeindrucken lassen, daß man sich hier auf den Beginn der Christenheit beruft. Es ist anzunehmen, daß die luziferische Totenauferweckung (Offb. 13,3) ebenfalls mit Berufung auf Apostelgeschichte „biblisch“ abgesegnet wird. Auch ist gemäß der Parallele von Hebr. 2,4 mit 2. Thess. 2,9 am Ende der Zeiten mit genau den Zeichen, Wundern und gewaltigen Taten der Urgemeinde zu rechnen, allerdings in unseren Tagen in der Macht der Verführung. Apostelgeschichte ist das große „Lehrbuch“ der charismatischen Strömungen. Man übersieht leider, daß die Bibel einiges über die Zeit vor der Wiederkunft Jesu zu sagen hat, der Abschnitt, der nun wirklich für uns topaktuell ist, wo allerdings die Vorzeichen in Sachen Prophetie und übernatürlicher Phänomene genau verkehrt sind. In unseren Tagen dienen sie der Verführung. Und die ist nun tatsächlich großflächig, eigentlich global geworden.

Typisch für diese Vermischung von Bibel und frommen Spiritismus sind nicht nur die ständigen Stimmen, Träume, Heilungen und Visionen, sondern ist auch z.B. folgendes Gesicht: Plötzlich überkam ihn eine schreckliche, dunkle Vision. Ein Wesen mit grausamen Gesicht kam auf ihn zu. Zugleich rief Yun jedoch „Halleluja. Wir überwinden durch das Blut Jesu! Jesus ist Sieger!“ Als die Vision vergangen war, fragten ihn die anderen, was vorgefallen sei. Yun erzählte ihnen, dass ein Monster ihn auf den Boden gezwungen und auf ihm gesessen habe. „Es versuchte, meinen Mund mit seinen Händen fest zu verschließen. Dann, als ich schon beinahe erstickt war, sah ich einen Engel auf mich zufliegen. Mit ganzer Kraft stach ich meine Finger in die Augen des Monsters. Es fiel auf den Boden und ich flog mit dem Engel davon“ (Seite 48). Geistlicher Karatekampf gegen Monster. Das erinnert mehr an Harry Potter denn an die Lehren der Bibel.

Dabei kennt man solche Kämpfe nur zu gut von katholischen Heiligen und Mystikern, die einerseits in himmlischen Sphären schwebten und Wunder über Wunder erfuhren, dann wieder in furchtbaren Anfechtungen mit Teufeln und Dämonen kämpften. Während Yun weiter fastete und betete, durchlebte er eines Tages eine schreckliche Vision... Aus den Wänden kamen viele Skorpione, schwarze Schlangen und Schwärme von Wespen hervor, die ihn angriffen... In dieser Vision dreht er sich um und sah eine nackte Frau, die ihre Arme ausbreitete (Seite 75). Auch befindet man sich mit solchen Erlebnissen in bester New-Age-Gesellschaft.

Ebenso erinnern das Entkommen aus den Gefängnissen der Polizisten und das Entrinnen aus dem Griff seiner Verfolger öfters an solche Legenden. Seile lösen sich in wundersamer Weise (Seite 49), im Namen Jesu werden seine tauben Hände sofort wieder normal funktionsfähig Er springt wie eine Gazelle, offensichtlich von Engeln getragen, über ein hohe Mauer, deren Oberseite mit Glasscherben gespickt ist (Seite 50), usw. usf.

Doch einsame Spitze dieser mehr als wundersamen Befreiungen und Legenden dürfte folgender Bericht sein: Um ganz sicherzugehen, dass er nicht aus dem Gefängnis entkommen konnte, nahmen sie einen Vorschlaghammer und zerschmetterten damit seine Beine gerade oberhalb der Knöchel. Nur noch Muskelgewebe hielt danach die Knochen zusammen. Von da an war es für Yun unmöglich, zu gehen oder zu stehen... Der Himmelsbürger war nun ein Krüppel geworden... (Seite 104). Dennoch wird ihm nahegelegt zu fliehen. In Glauben und Gehorsam wagte er den ersten Schritt. Da durchströmte ihn die Kraft, er stand auf ER KONNTE GEHEN! So bewegte er sich auf die Tür seiner Zelle zu, die sich vor ihm öffnete. In Glauben ging er die ersten Schritte in die Freiheit. Zu seiner großen Überraschung öffneten sich auch die weiteren Türen, sobald er auf sie zutrat. Gleich mehrere Naturgesetze gleichzeitig wurden hier außer Kraft gesetzt (Seiten 105-106).

Auch wird ausdrücklich erwähnt, wie hier kein natürlicher Heilungsprozeß dies ermöglicht haben konnte, denn ein Christ in dem Gefängnis stellte fassungslos fest: Ich wusste doch, dass er infolge seiner zerschmetterten Beine völlig verkrüppelt war. Doch jetzt sah ich, wie er mir in großer Eile entgegenkam (Seite 106).

Nun möchte ich klarstellen, daß natürlich Gott nichts unmöglich ist und wer mag Ihm verbieten, hier nicht gleich mit ganzen Wunderkaskaden einzugreifen? Doch warum treten solche Berichte gewöhnlich im Dunstkreis der Pfingstbewegung auf, deren fragwürdige Heilungen und Wunder sich herumgesprochen haben sollten? Auch ermahnt uns das Neue Testament gleich achtmal, nüchtern zu sein. Und in unseren Tagen der Zeichen- und Wundersucht sowie der Okkultinvasion, wo ein ganzes Feuerwerk des übernatürlichen abgebrannt wird, sollte man besonders wachsam sein.

Diese Berichte erinnern mehr an Gutgläubigkeit und Aberglauben, typische Merkmale, wie bereits erwähnt, für die katholische Frömmigkeit mit ihren unnüchternen Heiligen- und Märtyrergeschichten, wo noch an den Gräbern dieser „Heiligen“ erstaunlichste Dinge passiert sein sollen. Es ist jedenfalls kaum der biblische Glaube des reifen Mannesalters (Eph. 4,13), der alles prüft, sondern vielmehr kindisches Verhalten, eine Eigenschaft, die Paulus gerade bei den Korinther beklagen muß (1. Kor. 3,1-3). Wir wollen kindlich, aber nicht kindisch sein.

Auf ähnlicher Ebene ist der Bericht über Bruder Yuns Fasten im Gefängnis einzuordnen. Er weigert sich, daß ohnehin kärgliche Essen im Gefängnis zu sich zu nehmen und fastet 74(!) Tage lang. Nachedem Yun vierzig Tage und Nächte im Gefängnis gefastet hatte, versuchte ihn Satan mit der Frage: „Willst du es besser machen als dein Herr? Er hat nur 40 Tage und Nächte gefastet... Yun wusste nicht mehr, wie er mit diesem Druck umgehen sollte, und war versucht, sich selbst das Leben zu nehmen... Sein Kampf dauerte an. Freude und Friede wechselten mit Verzweiflung, Schmerz und Angst (Seite 71).

Gott gibt ihm angeblich eindrucksvolle Visionen und der Heilige Geist erinnert ihn an die Visionen, die er früher hatte. Doch nach diesem senkten sich einmal mehr erdrückende Wolken der Qual auf ihn herab... Der Herr erinnerte ihn: „Meine Berufung ist unwiderruflich. Jeder wirklich Gläubige kann es mir gleichtun. Ja, sie werden sogar größere Dinge tun als ich (Seite 72).

Wer redet hier eigentlich? Wer stellt sich hier praktisch ungeschminkt mit Gott gleich? Nun wird von den Charismatikern Johannes 14,12 bis zum Überdruß zitiert, um ihre Pseudowunder angeblich biblisch belegen und noch mehr erwarten zu können. Doch hier geht es doch bei dem 40tägigen Fasten um die besondere Vorbereitung unseres Herrn, der als der letzte Adam (1. Kor. 15,45) für uns versucht und geprüft ward, um als Lamm Gottes das vollkommen Opfer für die Erlösung der Welt zu bringen. Das Fasten von Bruder Yun hat nun in diesem Sinne mit dem einmaligen Heils- und Erlösungsplan Gottes durch Christus wirklich nichts zu tun. Kann es im Erlösungshandeln tatsächlich jeder mit Jesus gleichtun? Wird hier nicht unser einmaliger Herr auf eine menschlich tiefere Ebene gezogen? Für mich liegt hier eine Grenzüberschreitung vor, wo ein fremder Geist sich als Gott bzw. Jesus tarnt (2. Kor.11,4).

Der Bericht über diese unglaubliche lange Fasten, verbunden mit all den Folterungen und Torturen ließt sich ebenso erschreckend wie erschütternd. Wenn nur 10% von den erwähnten unmenschlichen Quälereien zutreffen sollten, wäre es schon mehr schlimm genug und für uns verwöhnte Westbürger sicherlich ein Todesurteil. Über diese Episoden im Leben Yuns fällt es daher schwer, von dieser Warte her ein kritisches Urteil zu fällen. Sein Ausharren und seine Tapferkeit verlangt Respekt und nötigt uns Bewunderung ab. Soll ich, weil kein Mensch normalerweise 74 tage Fasten überlebt, erklären, dies sei erfunden oder unglaubwürdig? Das wage ich nicht zu sagen, obwohl manches mehr als fragwürdig bis sonderbar ist. So z.B. die oben erwähnte Quelle seiner Inspirationen. Und Joh. 14,12 dafür in Anspruch zu nehmen, fast doppelt so lange wie unser Herr zu fasten, ist theologisch und biblisch unhaltbar. In dem Buch selbst heißt es über diese Periode: Yun erlebte eine bis dahin nicht gekannte Furcht und Dunkelheit in seinem Leben. Aber neben all dem Bösen gab es auch Zeichen, Visionen, Träume und Offenbarungen des Herrn (Seite 86).

In einer weiteren Vision gestatte Gott ihm einen Einblick, in dem Yun sich selbst und andere Gläubige sah, wie sie alle Hindernisse und Schwierigkeiten überwanden, denen sie gegenüberstanden (Seite 72). Dies ist für mich Hellseherei und bei all den in diesem Buch geschilderten Visionen, z. B. Eines nachts, kurz bevor das Baby geboren wurde, hatte Yun eine Vision. Er sah seine Frau auf ihn zukommen und stolz ein Baby auf ihrem Arm halten (Seite 91), nur die Spitze des Eisbergs. Auch mancher Dialog Yuns mit „Jesus“ erinnert mehr an einen Dialog mit einem Kontrollgeist denn ein Gespräch mit dem lebendigen Gott. So fragte er Jesus: Ist das wirklich die Wahrheit, oder willst Du einen Narren aus mir machen?“ Aber Jesus antwortete: „Das ist die Wahrheit. Ich habe mich nicht verändert“ (Seite 109).

Bruder Yun ist eben nicht die einflußreiche Gestalt der chinesischen Hauskreisbewegung gewesen, die auf Watchman Nee und Wang Ming Tao zurückgeht, sondern eine offensichtlich zentrale Gestalt der pfingstlich-charismatischen Hauskreise Chinas. So heißt es beispielsweise auf Seite 55: Viele Prophezeiungen wurden in dieser Zeit gegeben.

Dieses Buch wimmelt nur so von Gesichten, Stimmen, Heilungen und Visionen und wird deswegen in den charismatischen Kreisen auf große Begeisterung stoßen. Einiges scheint beeindruckend, einiges ist einfach Unnüchternheit und, wie heute üblich, Verwechslung von Phantasie mit Wirklichkeit.

So könnte man sich zur Not damit anfreunden, daß Engel Menschen in Notsituationen geleiten oder aus dem Kerker führen. Wir haben dazu biblische Beispiele und auch Missionare berichten hin und wieder, wie sie von unsichtbaren Wesen beschützt worden sind. Doch manches liest sich bizarr. Yuns Frau und Tochter beispielsweise verirren sich auf der Flucht an der Grenze zwischen Birma und Thailand. Die Situation ist lebensbedrohlich. Plötzlich tauchte direkt neben ihnen eine strahlende Erscheinung auf und sie sahen eine Gestalt, die so etwas wie ein blinkendes Suchlicht auf dem Kopf trug (Seite 146). Das erinnert mehr an Fantasy-Romane denn an biblischen Realismus.

Auch die immer wieder erwähnten Heilungen sind oft genug das Proprium solcher Strömungen. Er betete mit großer Autorität über seiner Mutter und wies die Krankheit im Namen Jesu zurück (Seite 132). Auch dies ist leider typisch für das unnüchterne Weltbild dieser Christen.

Nach dem dritten Schlaganfall seiner Mutter, hatte man bereits den Sarg bestellt. Bruder Yun war zu dieser Zeit in der Schweiz. Er rief seine Mutter über das Mobiltelefon in China an. „Mama, hörst du? Jesus liebt dich und er wird dich heilen.“ Als seine Mutter die Worte „Jesus liebt dich“ hörte, richtete sie sich auf, bewegte sich umher und begann triumphierend zu tanzen (Seite 133).

Ausdrücklich wird erwähnt, wie Bruder Yun den Auftrag von Gott bekommen haben soll, die Hauskreise zu zentralisieren. Gott sprach zu ihm und forderte ihn auf, die verschiedenen Netzwerke der Hauskirchen zusammenzubringen und in die Einheit zu führen, indem er Führer fand, die die gleiche Vision mit ihm teilten (Seite 99). Gerade dies wird von der anderen Hauskreisbewegung, die 1950 begann, entschieden abgelehnt. Einfach auch deswegen, weil eine nicht zentralisierte Bewegung viel weniger leicht zu infiltrieren und zu überwachen ist.

Ein weiterer bemerkenswerter Zug dieser charismatischen Hauskreise ist die Bewegung „Zurück nach Jerusalem“. Gott will angeblich 100 000Missionare aus China in die Länder Asiens schicken mit Endziel Jerusalem. Doch im Licht der historischen Tatsachen können wir festhalten, dass die Berufung, das Evangelium von China aus auf den Weg nach Jerusalem zu bringen, eine lebendige und mächtige Vision unter den chinesischen Christen seit fast 100 Jahren ist (Seite 116).

Nun gibt es das „Jerusalemsyndrom“ und mancher Schwärmer wird von dieser Stadt unwiderstehlich angezogen. Doch unser Ziel sollte das himmlische Jerusalem (Hebr. 12, 22) und nicht primär die gegenwärtige Stadt sein. Solche Eingebungen sind nichts anders als hochgrade Unnüchternheit, wo Enthusiasten die himmlische Berufung Gottes mit der irdischen verwechseln. Es wird eine „Missionsreise“ sein, die viele Jahre dauern wird. Keiner weiß jetzt, wieviel Zeit nötig sein wird, um all die vielen Volksgruppen, die auf dem Weg der Missionare auf ihrem Weg nach Jerusalem liegen, zu erreichen (Seite 114).

Solche unnüchternen Strömungen sind in der Christenheit nicht neu. So gab es um die Wende zum 20. Jahrhundert die Templer-Bewegung unter Pfarrer Hoffmann, die dann in der Nähe von Haifa siedelte. Zurück ins Gelobte Land, hieß die Verheißung. Inzwischen sind sie so gut wie verschwunden. Ähnlich erging es den Visionären in China. Eines ist gewiss, diese Vision wird von vielen geteilt und sie ist weder neu, noch eine Modererscheinung. Vor etwa einem halben Jahrhundert, noch bevor Yun geboren wurde, pflanzte Gott diesen Traum in die Herze vieler chinesischen Christen. Sie wurden damals als „Träumer“ angesehen. Aber schon zu Beginn der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts begannen sie , sich im Nordwesten Chinas zu versammeln. Ihr Ziel war Jerusalem. Doch sie kamen nicht weit. Sie gelangten zu diesem Zeitpunkt nicht einmal aus China heraus (Seite 115).

Was sind das für Führungen? Was ist das für ein Gott, der solche Eingebungen schenkt, die dann nur gescheiterte Versuche beinhalten? Gab es damals in China nicht genügend Menschen, die auf das Evangelium warteten?

Es wurde bald deutlich, dass Gott diese Vision steuerte und koordinierte, da jede Hauskirche, unabhängig voneinander, die gleiche Vision erhielt“ (Seite 116).

Andere Hauskreisleiter in China, nämlich die nichtcharismatischen, warnen eindringlichst vor dem Sauerteig dieser „Zurück nach Jerusalem“- Bewegung.

Es erinnert mich dieses Buch zum Teil an die bizarren Wunder der Zulu-Bewegung eines Erlo Stegen, der ebenfalls, eine gewisse Zeit jedenfalls, als großer Erweckungsmann herumgereicht wurde und jede Menge Spaltungen verursachte.

Das Buch ist auch ein Ergebnis dessen, was Walter Hollenweger konstatierte. Er erklärte ganz frei und offen, daß in der Dritten Welt „Kirchen mit Geistheilern zusammenarbeiten. Es sei dort für Christen selbstverständlich, ihre vorchristliche Heiltraditionen in ihr Glaubensleben einzubauen“ (ideaSpektrum 49/2004). Nun ist Hollenweger keine Randfigur. Er ist eine Schlüsselgestalt der Pfingst- und charismatischen Bewegung. Diese Vermischung von Animismus, Spiritismus, Wahrsagerei und Aberglauben mit neutestamentliche Christentum ergibt eben die heute so expandierende charismatische Frömmigkeit. Das hier besprochene Buch und die erwähnten Phänomenen ist das typische Resultat von solch einem Durcheinander von Licht und Finsternis, Heiliger Geist und Geister, wie es gerade auch in der Gemeinde zu Korinth der Fall war (1. Kor. 10,2; 2. Kor. 6,14-16).

Es ist möglich, daß in der Ausgabe dieser Biographie im Brunnen-Verlag manches geglättet wurde. Der Bericht über die zerschmetterten Beine in „Heavenly Man“, Brunnen Verlag, S. 265, ist teilweise ausführlicher, teilweise weniger dramatisch.

So hat man z.B. in den Biographien über Sadhu Sundar Singh gewöhnlich den Abschnitt weggelassen, wo er sich in seinen Visionen mit Swedenborg unterhielt, dem größten Spiritisten des 18. Jahrhunderts. Swedenborg war ein großer Mann, ein Philosoph, Wissenschaftler und vor allem ein Seher klarer Gesichte. In einem Brief vom 12. Nov. 1928 schrieb Sundar Singh: Ja, ich habe den verehrten Swedenborg in meinen Gesichten mehrmals gesehen. Er ist eine sehr liebenswerte Persönlichkeit und hat im Himmel eine hohe Stellung inne; (Sundar Singh, A.J. Appasamy, Verlag Friedrich Reinhardt AG., Basel, S. 271 u. 273).

Bei diesen Aussagen nun hätte man merken können, daß dieser hingegebene Zeuge Jesu in den Spiritismus verstrickt war. Doch hat man diese anstößigen Stellen herausgenommen und damit die arglosen Gläubigen verführt. Eine Fälschung, die das Echte genauer imitiert, ist deswegen nicht besser, sondern nur gefährlicher.

Wir wollen uns nichts vormachen. Wenn so ein brennender Zeuge wie Sundar Singh betrogen werden konnte, denn kaum jemand hatte so eine glühende Hingabe an unseren Herrn wie dieser Sadhu, dann kann auch jeder von uns betrogen werden, wenn er so töricht oder einfältig ist, Stimmen, Träumen, Visionen oder gar Jesuserscheinungen zu vertrauen.

Der „große Prophet“ Rick Joyner, der von sich behauptet, in seinen Visionen nicht nur mit Jesus, sondern auch Noah und Paulus zu sprechen, für den der gegenwärtige Papst angeblich die Gabe der Heilung und Prophetie habe, erklärt in seinem neu erschienenen Buch „Die Fackel und das Schwert“, Schleife Verlag Winterthur: „Wenn wir glauben, dass wir uns wirklich dem Ende des Tage nähern, dann kommen wir nicht umhin, zugleich die Vorhersage ernst zu nehmen, dass es dabei unweigerlich zu einer dramatischen Ausweitung prophetischer Erlebnisse und Offenbarungen kommen wird. Träume, Visionen und prophetische Eindrücke sind immer eine Begleiterscheinung von Ausgießungen des Heiligen Geistes“ (zitiert in Charisma, Nr. 130, S. 40).

Genau das spielt sich vor unseren Augen in Erfüllung von 2. Thess. 2,9-11 ab, allerdings anders, als Rick Joyner es meint. Das Totenreich weitet sich aus (Offb. 6,8) und die Geisterwelt veranstaltet dementsprechend eine „charismatische Show“ nach der anderen.

Eines ist sicher. Sollte der Herr noch verziehen, werden noch andere solche „Himmelsbürger“ aufstehen, die große Erweckungen mit Zeichen und Wundern auf ihre Fahne geschrieben haben, um, wenn möglich auch die Auserwählten zu verführen (Mt. 24,24).

Alexander Seibel


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