Der Toronto-Segen in der Ukraine

(11. bis 24. April 1995)

Der Pastor von Kiews Erster Baptistengemeinde riß mir förmlich den Artikel über den "Toronto-Segen", der ins Russische übersetzt worden war, aus den Händen. Noch während wir über die Einzelheiten der bevorstehenden Botschaft sprachen, begann er darin zu lesen. Sein Wunsch war es jedenfalls, die Gemeinde klar vor Verführung in unseren Tagen zu warnen. Bevor ich zur Kanzel ging, erzählte Pastor Kosobowsky, so lautet sein Name, wie ein Mann aus ihrer Gemeinde zu den Pfingstlern übergewechselt war. Er bekam die Geistestaufe und redete in Zungen. Einige Zeit danach mußte er in die psychiatrische Klinik eingewiesen werden. Seine Ehe und sein Beruf sind zerstört. Die Gemeinde begann für ihn zu fasten und zu beten. Die Frage des Pastors: "Wieso ist er noch immer in der Klinik und nicht frei geworden?" Was soll man darauf antworten?

Jedenfalls erwartete man von mir deutliche Worte und nicht die im Westen oft übliche Schönfärberei vernehmen. Mit Samthandschuhen, wie gewöhnlich bei uns, werden diese Strömungen, zumindest in der Ukraine, nicht angefaßt. Die Ablehnung ist manchmal so scharf, daß ich mich mehrmals veranlaßt sah zu betonen, daß es in dieser Bewegung viele echte Gotteskinder gibt, auch wenn man sich einem fremden Geist geöffnet hat. Gewöhnlich bezeugte ich dann mit Erwähnung von 2. Kor 11,4, was mir zu Beginn meines Glaubenslebens durch Wilkersons Buch Das Kreuz und die Messerhelden selber widerfahren war.

Nach meiner Botschaft, die ich, wie auch die anderen bei den Baptisten, praktisch alle in Englisch halten mußte, weil es so gut wie keinen Übersetzer aus dem Deutschen gab, erzählte mir Pastor Kosobowsky folgendes: Ende Oktober letzten Jahres besuchte er in Schweden ein Treffen der "Europäischen Föderation der Baptisten-Evangelisten", zu dem man ihn auch als Redner eingeladen hatte. Jemand von Norwegen wollte noch zu einer besonderen Segnung aufrufen und Kosobowsky samt anderen Pastoren wurde nach vorne gebeten. Er meinte, es handle sich um eine Einsegnung, als ihm dieser norwegische Pastor die Hände auflegte. Er merkte, wie sein Gegenüber erst normal und dann in Zungen betete. Allmählich wurde es ihm ungemütlich, doch wegen der Sprachbarriere wußte er nicht, was vor sich ging. Er bat den Herrn ihn zu bewahren. Als er seine Augen kurz öffnete, sah er, wie jemandem die Hände aufgelegt wurden, der sofort auf dem Rücken landete. Inzwischen mühten sich zwei Pastoren um ihn, damit er doch auch unter die "Kraft" komme, sprich, zu Boden falle.

Ihm wurde es noch unheimlicher und er betete intensiver. Obwohl man ihn mehrmals anstieß, fiel er nicht. Darauf erklärte er seiner Übersetzerin, er wolle weggehen. Seine Frage, was hier eigentlich vorfiel, wurde damit beantwortet, daß der norwegische Pastor einen besonderen Segen von Toronto weitergeben wollte.

Die darauffolgende Nacht konnte Kosobowsky nicht einschlafen. Die Stunden verrannen. Um 5.00 Uhr früh stand er auf und betete, wobei er sich beugte und Gott um Hilfe bzw. Befreiung anrief. Dabei spürte er, wie eine Kälte aus seinen Fingern wich. Danach konnte er endlich, wenn auch nur für kurze Zeit, einschlafen.

Noch sonderbarer wurde seine Geschichte, als er von seiner Frau erzählte, die in Kiew zurückgeblieben war. Er rief sie von Schweden aus an und sie berichtete am Telefon, wie es ihr in besagter Nacht so schlecht ging, daß der Nachbar bereits einen Rettungswagen bestellt hatte. Erst um 5.00 Uhr morgens, also der Zeitpunkt, wo er zum Herrn flehte, haben diese Beschwerden schlagartig aufgehört. Beschwerden, die bei seiner Frau begannen, als der norwegische Pastor, so wurde mir versichert, ihm die Hände auflegte.

Ich schreibe dies nun so nieder, wie man es mir erzählte, ohne selber groß einen Kommentar abgeben zu wollen. Jedenfalls begriff ich, warum Kosobowsky sogleich den Artikel über den "Toronto-Segen" zu lesen begann. Sein Wunsch bzw. seine Frage: "Wie kann man die Gemeinde vor diesem Geist bewahren?"

Eingeladen in diese Erste Baptistengemeinde hatte mich Alexei Brynza. Er leitet das Baptistenseminar in Irpem bei Kiew und wollte unbedingt, daß ich zu den Studenten spreche. Er kannte mich von meinem Buch Gemeinde Jesu - endzeitlich unterwandert? Auch später mußte ich feststellen, z.B. in Odessa, daß, wenn mein Name fiel, die Gesichter der baptistischen Pastoren sich aufhellten. Im Westen habe ich in diesen Kreisen eher das Gegenteil erlebt. Sie zeigten mir dann die maschinengeschriebene Vervielfältigung meines Buches. Wie mir berichtet wurde, hatte der damalige Präsident der Evangeliumschristen-Baptisten Yakov Duchonchenko veranlaßt, daß mein Buch übersetzt und (weil damals nicht anders möglich) mit Schreibmaschine vervielfältigt wurde.

Alexei Brynza war es auch, der mir eine Begebenheit erzählte, die im ersten Moment so unglaublich schien, daß ich mich mehrmals versicherte, ob ich richtig gehört hatte. Nach dem 2. Weltkrieg wollten sich die Pfingstler registrieren lassen. Die dafür zuständige Behörde lehnte dies ab, weil, wie man erklärte, ein Großteil der Patienten in den psychiatrischen Kliniken aus ihren Gemeinden kam. So mußten sie sich dem Baptistenbund anschließen, eine Entscheidung, der der damalige baptistische Präsident, Shidkov, erst nach längerem Zögern und wegen des Drucks der Regierung nachgab. Allerdings wurden sehr deutliche Auflagen vereinbart. Es darf erstens nicht öffentlich in Zungen geredet werden. Zweitens, ihre Sonderlehren dürfen sie nicht verbreiten bzw. niemandem aufdrängen. Dieses "Zweckbündnis" dauerte bis 1989. Erst seit diesem Jahr sind die Pfingstler als eigenständiger Gemeindebund in der damals noch existierenden Sowjetunion registriert. Begonnen hatte diese Bewegung im Jahre 1930 durch Torreys Buch über die Geistestaufe, das damals ins Russische übersetzt worden war. Zahlenmäßig seien sie noch nicht so stark wie die Baptisten, doch, wie ein Pastor bemerkte, sie haben mehr Geld. Zu befürchten ist, daß nun durch den "Toronto-Segen" die psychiatrischen Kliniken neue "Kundschaft" erhalten.

Auf meine Bemerkung hin, daß es im Westen in Sachen Baptismus allerdings etwas anders aussieht, so z.B. die größte baptistische Gemeinde in Deutschland nicht nur charismatisch, sondern auch für den "Toronto-Segen" ist, meinte Alexei Brynza: "Ich war stolz, Baptist zu sein, bis ich 1992 nach Amerika kam." Sein Kommentar: "Die Kommunisten haben uns zu besseren Baptisten gemacht." Allerdings möchte ich auch nicht verschweigen, wie es in den Kreisen der ehemals nichtregistrierten Baptisten zu ständig neuen Spaltungen kommt, wie man mir klagte.

Als ich in Borvary predigte, das noch zur Kiev-Region gehört, kam das Gespräch in der Fragestunde auf Erlo Stegens Bücher. Sie sind dort ziemlich weit verbreitet. Eine Schwester erzählte, wie sein erstes Buch "Die Erweckung beginnt bei dir" sie eher angesprochen, sie jedenfalls nichts Falsches bemerkt habe. Bei seinem zweiten Buch "Das Gericht beginnt am Hause Gottes" legte sich so ein Druck auf ihre Seele, daß sie nicht mehr beten konnte. Ihr Mann hatte ähnliche Anfechtungen, auf jeden Fall las er das Buch nicht zu Ende, weil er seine Heilsgewißheit verlor. Nun, solche Berichte kannte ich sowohl von Deutschland wie auch von Südafrika. Wie tragisch, weltweit solche Auswirkungen beobachten zu müssen.

Beim Mittagessen, das Schwestern liebevoll mit dem nicht so überreichen Angebot bereitet hatten, erzählten mir Geschwister von Bonnkes Evangelisations- und Heilungsfeldzug 1992 in Kiew. Waggonweise seien die Pfingstler aus allen Teilen der Ukraine gekommen. Nachdem Bonnke mit den Kranken und Gelähmten, die an einer bestimmten Stelle des Stadions versammelt waren, gebetet hatte, verschwand er sogleich. Danach tauchten ca. 8 Leute auf, Geistheiler und Hypnotiseure, so mein Berichterstatter, die versuchten, Bonnkes angefangene "Heilung" zu Ende zu führen. Der Kommentar eines Schwarzen, der in Odessa studiert: "Bonnke hat in Afrika so tief gepflügt, daß in den nächsten 1O Jahren nichts mehr wachsen wird."

Zu meinem Erschrecken mußte ich erfahren, daß auch Kenneth Copelands Sendungen in Kiew täglich empfangen werden können. Er gehört ja als rechte Hand von Kenneth Hagin zu den radikalsten Verfechtern der "Wort des Glaubens-Bewegung" und von ihm stammen die schlimmsten Aussagen dieser schnellwachsenden Irrströmung, der auch die Schlüsselleute des "Toronto-Segens" angehören. "Du hast nicht einen Gott in dir, du bist einer" oder "Satan besiegte Jesus am Kreuz".

Besonders empört zeigte sich ein Seminarist in Odessa, der die Verkündiger des Wohlstands- und Erfolgsevangeliums als Regenbogenprediger bezeichnete. Obwohl Linguist, der Deutsch perfekt spricht, haben sie ihm die englische Sprache, die meisten kamen aus USA oder Kanada, fast verleidet. Er fragte sie: "Was habt ihr gepredigt, wenn die Leute nach euren Botschaften unbedingt nach Amerika auswandern wollen?" Von Johannes dem Täufer heißt es jedenfalls: "Als sie ihn reden hörten, folgten sie Jesus nach" (Joh. 1,37).

In diesem größten Land Europas (abgesehen von dem europäischen Teil Rußlands) war ich zur Osterzeit. Die orthodoxe Kirche feiert den Ostersonntag eine Woche später, also am 23. April in diesem Jahr. Meine Zeit in der Ukraine dauerte vom 11. bis 24. April. Jedenfalls griff ich diese Gelegenheit auf, um bei den Andachten im Seminar, aber auch bei den Botschaften in den Gemeinden diese Frohe Botschaft des Osterereignisses zu verkündigen. Ein Baptistenpastor wollte, daß ich zum Thema charismatische Verführung spreche. Da nach orthodoxem Kalender an diesem Tag aber Palmsonntag war, predigte ich jedoch über dieses Ereignis (Mt. 21) und wie wir in Jesus das vollkommene Opferlamm haben, daß alle Schuld ein für allemal bezahlt hat. Danach kam eine Frau nach vorne und bekehrte sich öffentlich. In diesen Gemeinden ist es üblich, daß vor aller Augen gebetet wird und auch Sünden bekannt werden.

Von Kiew ging die Reise weiter nach Odessa am Schwarzen Meer. Fast 500 km mußten über teilweise sehr holprige Straßenabschnitte zurückgelegt werden. Bedrückend sind die Armut, die schlechten Zustände der Häuser und Straßen, die abbröckelnden Fassaden. Dabei ahnt man allerdings, daß Odessa früher eine schöne Stadt war. Hier und dort beginnt manches aufzublühen, wie bei einem schüchternen Frühling und erweckt die Hoffnung, daß es vielleicht doch noch einen zaghaften wirtschaftlichen Aufschwung gibt. Besonders in diesem Jahr erhofft man eine reiche Ernte in dem Land, das einst die Kornkammer des Zarenreiches war und in dem durch Stalins Zwangskollektivierung Millionen Bauern verhungerten.

Besonders alte und kranke Menschen haben es nicht leicht und müssen manchmal buchstäblich verhungern. Die monatliche Pension beträgt umgerechnet 4 bis 5 Dollar. 8 Dollar ist eine eher gute Rente. Ein Kilogramm Butter kostet umgerechnet dreieinhalb Dollar. So war ich dankbar, daß Gemeinden in Deutschland mir Geldspenden mitgegeben hatten, um es Geschwistern in der Ukraine weiterzureichen. An manchen Härtefall konnte so gedacht werden.

Wie hatte sich die Tür nach Odessa aufgetan? Ein lieber Bruder bat mich, doch auch noch bei Viktor Gräfenstein, dem Superintenden der lutherischen Kirche in der Ukraine, ein Seminar abzuhalten und zu evangelisieren. So sprach ich morgens im lutherischen Zentrum in Odessa morgens über den Römerbrief und abends war Evangelisation im Kulturhaus. Es war bereichernd, das neue Leben in Jesus Christus bei diesen Geschwistern wahrzunehmen und wie das Evangelium Menschen verändert. Mit Viktor durfte ich eine herzliche Freundschaft pflegen.

In Odessa gibt es nicht nur eine sehr große Baptistengemeinde, sondern auch ein Seminar. Aus oben erwähnten Gründen taten sich in der baptistischen Gemeinde viele Türen auf und sogleich wurden mir wieder mehrere Gelegenheiten für Vorträge bzw. Verkündigung eingeräumt. Es war mir eine besondere Freude, Vassili Logvinenko wiederzusehen, den ehemaligen Präsidenten der Evangeliumschristen-Baptisten, der seit seiner Pensionierung in Odessa wohnt. Schon als wir uns im Jahre 92 in Omsk kennenlernten, fühlten wir uns verbunden. Es war wirklich ein Geschenk, ihn unter den Anwesenden zu sehen und dementsprechend herzlich war die Begrüßung.

So trat ich zwar etwas erschöpft - es gab ständig Dienste, am Ostersamstag zwei in der Baptistengemeinde, am Ostersonntag (23. April nach orthodoxem Kalender) gleich drei bzw. vier Botschaften in den lutherischen Kreisen - in aller Frühe den Weg am 24. April nach Kiew an, um von dort zurückzufliegen, doch innerlich durfte ich dank Gottes Güte wieder einmal der Beschenkte sein.


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